Barrierefrei? Diskussion

Öffentliches und privates Baurecht, Bebauungsrecht, Nachbarrecht

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Oktavia
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Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von Oktavia »

Ich habe gestern auf einer Familienfeier eine "Interessante" Diskussion miterlebt und würde den Fall gern hier zur rechtlichen Diskussion stellen.
In einem Mehrfamilienhaus-Baugebiet (neues Wohnviertel) werden auch barrierefreie Häuser errichtet. Frau A sitzt im Rollstuhl und mietet eine der Wohnungen im als erstes fertig gestellten Haus. Dort ziehen auch noch andere Menschen im Rollstuhl ein. Es stellt sich heraus dass wohl doch nicht alles so Barrierefrei ist wie angegeben. Da ist dann wohl der Vermieter in der Pflicht nachzubessern und das soll hier nicht Thema sein.
Das Haus liegt an einer vorhandenen innerstädtischen und viel frequentierten Straße. Das Haus ist ca 3 m über Straßenniveau und ca 10 m von der Straße entfernt. Der vorhandene Fußweg auf dieser Straßenseite wurde vor Beginn der Baumaßnahmen entfernt. Frau A muss auf dem Weg zum Bus (zur Arbeit) entweder die viel zu steile Rampe zur Straße runter fahren und dann auf einem "Popup" Fahrradweg in falscher Richtung ca 400 m bis zur nächsten Querung fahren. Oder sie fährt einen großen Umweg über stark verschmutzte, manchmal blockierte Baustraßen (nicht gewidmet) auf denen viele Baufahrzeuge unterwegs sind und die weder Bürgersteig noch Beleuchtung haben. Da die Fertigstellung des Gebietes sich noch einige Jahre hinziehen wird, sind beide Lösungen nicht wirklich vertretbar. Eigentlich ist Frau A im Haus gefangen. Sie überlegt zwar wieder aus zu ziehen aber es gibt kaum Wohnungen und ein Umzug kostet sie viel Geld da sie ja nur wenig selbst machen kann. Auch ist fraglich ob die Bundesagentur einen erneuten Umzug zahlt.
In der Diskussion gestern waren Stimmen zu hören, dass die A ja wusste dass sie in ein Baugebiet zieht und da muss man mit sowas eben leben, andere meinten dass die Gemeinde dort sofort tätig werden muss.
Was meint ihr? Gibt es Gesetze zu Gunsten der Frau A? Was würdet ihr tun?
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ktown
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von ktown »

Also ich gehöre zur ersten Fraktion.
Die Barrierefreiheit muss nach Fertigstellung vorhanden sein. Die Umstände der noch vorhandenen Baumaßnahme hätte vor Vertragsunterzeichnung geregelt werden müssen.
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Chavah
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von Chavah »

Ich schließe mich meinem Vorschreiber an. Die Genehmigung von Gebäuden, die behindertengerecht sind, beinhaltet nicht automatisch die Verpflichtung der Kommune, das gesamte Umfeld behindertengerecht zu gestalten. Darüber hätte sich die Betroffene vorher informieren müssen. So hart es klingt, es ist ihr Problem.

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FM
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von FM »

Allerdings ist die Kommune völlig unabhängig von dem genannten Haus ohnehin verpflichtet, alle öffentlichen Wege barrierefrei zu gestalten. Siehe z.B.:
https://www.gesetze-bayern.de/Content/D ... /BayBGG-10
und ähnliche Gesetze dürfte es in jedem Land geben.

Nur entsteht daraus eben kein Anspruch, dass das zu einem bestimmten Termin erledigt ist. Ich kenne z.B. eine S-Bahnstation, wo der Baubeginn etwa gleichzeitig mit dem Berliner Flughafen war und die jetzt noch nur über eine steile Behelfstreppe erreichbar ist (aber immerhin ist auf dem Bahnsteig im Wartehäuschen ein extra gekennzeichneter Bereich für Rollstuhfahrer). Sie soll im April 2022 fertig werden. Man bemüht sich also beim Bau darum, aber der Bau dauert eben ca. 16 Jahre (in der Zeit hätte China 30 Hauptbahnhöfe gebaut).
Oktavia
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von Oktavia »

O.K. dann bleibt also nur auszuziehen oder über ein Budget eine Assistenz bzw. einen Fahrdienst zu engagieren? Bin da heute mal vorbei gefahren, für Parkplätze an der Straße ist gesorgt, für einen Bürgersteig sind weder Geld noch Platz da. Nun, sowohl Assistenz als auch Umzug werden den Steuerzahler auch einiges kosten. Deutschland ist ein behindertenfeindliches Land...
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ktown
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von ktown »

Also ich frage mich, was hier die Kommune für Karten im Spiel hat.
Wie mir scheint ist das ein Areal auf privatem Grund und bekommt, nach Fertigstellung öffentlich gewidmete Straßen.
Während der Bauphase, auch wenn die sich über mehrere Jahre hinzieht, muss man entweder mit Einschränkungen leben, oder sich vertraglich die Zugänglichkeit zusichern lassen.
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von FM »

Oktavia hat geschrieben: 23.10.21, 19:59 Deutschland ist ein behindertenfeindliches Land...
Wieso ist ganz Deutschland behindertenfeindlich wenn es lediglich um eine Kommune geht?

Wenn man sich die Beschwerdepunkte allerdings genauer anschaut:
Der vorhandene Fußweg auf dieser Straßenseite wurde vor Beginn der Baumaßnahmen entfernt. Frau A muss auf dem Weg zum Bus (zur Arbeit) entweder die viel zu steile Rampe zur Straße runter fahren und dann auf einem "Popup" Fahrradweg in falscher Richtung ca 400 m bis zur nächsten Querung fahren. Oder sie fährt einen großen Umweg über stark verschmutzte, manchmal blockierte Baustraßen (nicht gewidmet) auf denen viele Baufahrzeuge unterwegs sind und die weder Bürgersteig noch Beleuchtung haben.
betrifft nur ein einziger Barrieren wegen Behinderung, nämlich eine zu steile Rampe. Alles andere betrifft sonstige Fußgänger ebenso.
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von Chavah »

@ FM: 30 Hauptbahnhöfe? 300 mindestens.

Wenn ein ganzes Viertel neu gebaut wird, dann dauert das. Das weiß man, ehe man dort einzieht. Abgesehen davon, dass die Kommune wohl kaum Eigentümerin des Grundstücks und auch Vermieter ist, bedeutet ja behindertengerechte Wohnung nicht unbedingt, dass da nur Rolli-Fahrer einziehen. Hier liegt das Missmanagement wohl eher auf der Seite der Betroffenen.

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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von blackylein »

Was wurde den Mietern denn zu Beginn des Mietverhältnisses versprochen? Wurden da schon behindertengerechte Wege versprochen? Oder erst in der komplett fertiggestellten Wohnsiedlung?
Chavah
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von Chavah »

blackylein, das kann der Vermieter doch gar nicht wissen. Und selbst wenn er es getan hätte, was soll denn geschehen, wenn die Fristen nicht eingehalten sind? Und vielleicht auch nicht einhaltbar sind, wegen nicht gekannter Unwägbarkeiten?

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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von ktown »

Ist doch recht simpel.
1. Fall (Vermieter ist auch Bauherr): Er trägt die zusätzlichen Kosten für ein notwendiges Provisorium.
2. Fall (Vermieter und Bauherr sind zwei unterschiedliche Personen): Siehe Pkt. 1 und diese Kosten kann er, wenn seine Verträge mit dem Bauherrn es hergeben, dort geltend machen.
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von blackylein »

Chavah hat geschrieben: 24.10.21, 15:21 blackylein, das kann der Vermieter doch gar nicht wissen. Und selbst wenn er es getan hätte, was soll denn geschehen, wenn die Fristen nicht eingehalten sind? Und vielleicht auch nicht einhaltbar sind, wegen nicht gekannter Unwägbarkeiten?

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Wenn in einem so engen Bereich mehrere Wohnhäuser gebaut werden, dürfte eine Wohnungsbaugesellschaft dahinter stehen. Diese wird dann auch eine Planung haben, was wann gebaut und fertig gestellt werden soll.
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von Oktavia »

Hm... die Rampe ist es nicht denn auf der Seite gibt es keinen Fußweg und es gibt keine Querungshilfe. Auf einem Popup-Fahrradweg zu fahren ist gefährlich und nicht zulässig. Das Gebiet gehört der Kommune incl. der nicht gewidmeten Straßen. Das Haus ist als barrierefrei beworben worden genau für Menschen im Rollstuhl.
Menschen die sich auf ihren Beinen fortbewegen können, können ja auch mal über einen Erdhügel gehen oder über ein Loch steigen, das ist im Rolli so nicht möglich.
Ich stelle mir mal so vor ich ziehe in ein Haus im Baugebiet und am nächsten Tag wird ums Haus ein 3 m tiefer und breiter Graben gezogen. Nun, ich hätte mich ja vorab informieren können, da müssen noch Rohre verlegt werden und die nächsten drei Jahre komm ich nicht aus dem Haus...
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von Oktavia »

Das Baugebiet ist in kommunaler Hand, es wird von der Kommune vermarktet und gesteuert. Die Häuser werden von verschiedenen Gesellschaften errichtet und "gehören" diesen. Das betreffende Haus wurde von einer Tochtergesellschaft der Kommune errichtet und vermietet. Es steht an einer bereits vorhandenen Straße die auf der anderen Seite seit Jahrzehnten bebaut ist. Dort soll auch eine supertolle neue Fahrradroute entstehen, da dafür aber noch nicht einmal ein Planungsverfahren eingeleitet ist, denke ich mir, dass sich das Ganze ewig ziehen könnte.
Normalerweise, wenn man eine Wohnung sucht meldet man sich bei einer von 2 Wohnungsgesellschaften in unserer Kommune (privatvermietung gibt es hier wenig), da gibt man dann wahrscheinlich an "barrierefrei", sitze im Rolli. So bald die eine Wohnung haben melden die sich. Es gibt akuten Wohnungsmangel, daher kann man froh sein wenn mal eine barrierefreie Wohnung dabei ist...
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Re: Barrierefrei? Diskussion

Beitrag von Oktavia »

ktown hat geschrieben: 24.10.21, 15:32 Ist doch recht simpel.
1. Fall (Vermieter ist auch Bauherr): Er trägt die zusätzlichen Kosten für ein notwendiges Provisorium.
2. Fall (Vermieter und Bauherr sind zwei unterschiedliche Personen): Siehe Pkt. 1 und diese Kosten kann er, wenn seine Verträge mit dem Bauherrn es hergeben, dort geltend machen.
Wie kommst du darauf?
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