Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren

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Deputy
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von Deputy »

BerndiZ hat geschrieben: 24.03.21, 18:39 Die Meldebehörde schreibt A an, um den Sachverhalt zu klären. Im Schreiben wird eine Frist gesetzt, sonnst passiert eine Handlung zwangsweise von Amts wegen und A wird ein Bußgeld angedroht.
Hier geht was durcheinander. Wenn eine Handlung damit erzwungen werden soll, dass bei Nichthandeln eine Geldbetrag gezahlt wird, nennt sich das ganze Zwangsgeld und ist ein verwaltungsrechtliches Zwangsmittel. EIn Zwangsgeld ist aber kein Bußgeld - das ist eine völlig andere Baustelle.

Wenn A sich nicht anmeldet liegt eine OWi vor - und genau das liegt hier anscheinend vor. Das klingt hier eher nach einer kulanten Behörde, die nach dem Motto verfährt "Die OWi liegt vor, melde Dich an, damit ist der ordnungswidrige Zustand durch dich beendet und wir vergessen das ganze".

Und ja, ein Wohnsitz im Ausland - auch EU - kann zu einem Haftbefehl führen.

Da wird aber niemand zur Aussage gezwungen, beide Behörden erledigen einfach nur ihren Job.
FM
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von FM »

Deputy hat geschrieben: 25.03.21, 18:05 Hier geht was durcheinander. Wenn eine Handlung damit erzwungen werden soll, dass bei Nichthandeln eine Geldbetrag gezahlt wird, nennt sich das ganze Zwangsgeld und ist ein verwaltungsrechtliches Zwangsmittel. EIn Zwangsgeld ist aber kein Bußgeld - das ist eine völlig andere Baustelle.
Ich vermute eher, es ist die Anhörung im Bußgeldverfahren. Irgendwoher (vielleicht aufgrund einer Anfrage der Polizei) weiß, die Meldebehörde, dass er dort wohnt und gibt nun die Gelegenheit sich zu äußern. Genau das wäre die Gelegenheit zu sagen "nein, ich wohne woanders, und zwar ...., ich habe nur vereinzelt im Büro übernachtet wegen Corona-Beschränkungen." Damit wäre das Bußgeldverfahren vielleicht schon hinfällig. Möchte er aber nicht sagen.

Ist im Prinzip wie bei der Straftat als Entlastungsbeweis. Man könnte der Verkehrspolizei in Hamburg sagen "das kann ich gar nicht gewesen sein, fragt mal die Kripo Stuttgart nach dem Sparkassenüberfall zur selben Zeit, vielleicht bin ich da auf dem Video zu sehen, der mit Handgranatenattrappe".
Evariste
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von Evariste »

Deputy hat geschrieben: 25.03.21, 18:05 Da wird aber niemand zur Aussage gezwungen, beide Behörden erledigen einfach nur ihren Job.
Die Androhung eines Bußgeld klingt für mich schon nach Zwang, auch wenn es ein "Bußgeld" und kein "Zwangsgeld" ist.

Der Knackpunkt ist aber m. E., dass man als Beschuldigter zwar das Recht hat, zur Sache keine Aussagen zu machen, dass man aber zu korrekten Angaben zu Name und Wohnort verpflichtet ist.
Deputy
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von Deputy »

Evariste hat geschrieben: 25.03.21, 18:21
Deputy hat geschrieben: 25.03.21, 18:05 Da wird aber niemand zur Aussage gezwungen, beide Behörden erledigen einfach nur ihren Job.
Die Androhung eines Bußgeld klingt für mich schon nach Zwang, auch wenn es ein "Bußgeld" und kein "Zwangsgeld" ist.
Wenn es so ist, wie ich vermute, könnte die Behörde ein Bußgeld auch einfach festsetzen und die Angaben trotzdem fordern. Ob sie dafür ein Zwangsgeld festsetzen kann weiß ich nicht, halte es aber grundsätzlich für möglich.

Welchen Vorteil hätte A, wenn die Behörde sagt "Das Bußgeldbescheid geht auf jeden Fall raus"? Das befreit ihn nicht von der Pflicht zu den Angaben.

Praktisch gesehen bemängelst Du, dass die Behörde dem Betroffenen eine Möglichkeit einräumt, um das Bußgeld herumzukommen. Und siehst genau diese Möglichkeit als Nachteil für den Betroffenen. Das ist schon etwas schräg. Wenn der Betroffene nicht reagiert ist er in derselben Lage, wie wenn er den Bußgeldbescheid direkt erhalten hätte. Wo ist also ein Nachteil für ihn?
Evariste hat geschrieben: 25.03.21, 18:21 Der Knackpunkt ist aber m. E., dass man als Beschuldigter zwar das Recht hat, zur Sache keine Aussagen zu machen, dass man aber zu korrekten Angaben zu Name und Wohnort verpflichtet ist.
Richtig, § 111 OWiG.
FM
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von FM »

Wenn aber nun gerade die korrekte Angabe des Wohnorts zur Gefahr der Straf- oder Owi-Verfolgung führt?

Im Ausgangsfall ist es wohl nicht so (da geht es nur um den Haftgrund), ist aber auch denkbar: die Angabe des richtigen Wohnorts könnte Folgen im Steuerstrafrecht haben (siehe früher mal den Fall eines Tennisspielers der behauptete im Ausland mit niedrigen Steuersätzen zu wohnen), bei Corona-Beschränkungen, beim Verkehrsschild "Anwohner frei", und ggf. anderes.
Evariste
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von Evariste »

Deputy hat geschrieben: 25.03.21, 19:10 Praktisch gesehen bemängelst Du, dass die Behörde dem Betroffenen eine Möglichkeit einräumt, um das Bußgeld herumzukommen. Und siehst genau diese Möglichkeit als Nachteil für den Betroffenen. Das ist schon etwas schräg. Wenn der Betroffene nicht reagiert ist er in derselben Lage, wie wenn er den Bußgeldbescheid direkt erhalten hätte. Wo ist also ein Nachteil für ihn?
Wen meinen SIe?
BerndiZ
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von BerndiZ »

FM hat geschrieben: 25.03.21, 18:18 Ich vermute eher, es ist die Anhörung im Bußgeldverfahren. Irgendwoher (vielleicht aufgrund einer Anfrage der Polizei) weiß, die Meldebehörde, dass er dort wohnt und gibt nun die Gelegenheit sich zu äußern. Genau das wäre die Gelegenheit zu sagen "nein, ich wohne woanders, und zwar ...., ich habe nur vereinzelt im Büro übernachtet wegen Corona-Beschränkungen." Damit wäre das Bußgeldverfahren vielleicht schon hinfällig. Möchte er aber nicht sagen.
Nein, es ist keine Anhörung im Bußgeldverfahren. Selbst das Schreiben trägt den Betreff: „Klärung der Meldeverhältnisse“.

A kann nun die Wahrheit sagen: „Ich wohne im Ausland, das ist nur mein Büro und ab und an übernachte ich hier“. Dabei riskiert er, dass die POL / STA einen HB beantragt und es mit Fluchtgefahr begründet. Macht A dies, würde zwangsweise nichts passieren und auch kein Bußgeld anfallen.

A kann nun zugeben, dass er unter xy Wohnhaft ist (Behauptung der POL). Damit ist er safe, was den HB betrifft, da keine Fluchtgefahr vorliegt. Aber er würde dann zwangsangemeldet werden zu dem Datum der Abmeldung und ein Bußgeld kassieren. Und wenn A schweigt, wird diese Variante zutreffen. Da A weiterhin das Geld in Deutschland verdient, ist er nach wie vor beschränkt steuerpflichtig. Das spielt also keine Rolle. Und da A die deutsche Staatsangehörigkeit hat, ist aufenthaltsrechtlich auch alles iO. Und da die Immobilie ebenfalls A gehört, ist von der Seite „Vermieter“ auch alles safe. Negativ wäre eine Krankenversicherungspflicht, also müsste A sich rückwirkend krankenversichern und hätte für die Zeit, um die es geht, zwei Versicherungen zu zahlen.
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von ktown »

Wird die Meldebehörde eine Wohnsitzanmeldung akzeptieren wenn dort wohnen eigentlich nicht zulässig ist?
Wie schon angeführt hätte eine Anmeldung weitreichende Folgen (z.B. steuerrechtlich).
Wieso meint A, dass es zu einem HB kommt. Sind die Verhältnisse hinsichtlich des wahren Wohnsitzes so diffus, dass man eine Flucht fürchtet?
Alles, was ich schreibe, ist meine private Meinung.

Gesetze sind eine misslungene Kreuzung aus dem Alphabet und einem Labyrinth.
"Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt" Zitat Goethe
J.A.
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von J.A. »

BerndiZ hat geschrieben: 25.03.21, 23:47
A kann nun die Wahrheit sagen: „Ich wohne im Ausland, das ist nur mein Büro und ab und an übernachte ich hier“. Dabei riskiert er, dass die POL / STA einen HB beantragt und es mit Fluchtgefahr begründet. Macht A dies, würde zwangsweise nichts passieren und auch kein Bußgeld anfallen.

A kann nun zugeben, dass er unter xy Wohnhaft ist (Behauptung der POL). Damit ist er safe, was den HB betrifft, da keine Fluchtgefahr vorliegt. Aber er würde dann zwangsangemeldet werden zu dem Datum der Abmeldung und ein Bußgeld kassieren. Und wenn A schweigt, wird diese Variante zutreffen. Da A weiterhin das Geld in Deutschland verdient, ist er nach wie vor beschränkt steuerpflichtig. Das spielt also keine Rolle. Und da A die deutsche Staatsangehörigkeit hat, ist aufenthaltsrechtlich auch alles iO. Und da die Immobilie ebenfalls A gehört, ist von der Seite „Vermieter“ auch alles safe. Negativ wäre eine Krankenversicherungspflicht, also müsste A sich rückwirkend krankenversichern und hätte für die Zeit, um die es geht, zwei Versicherungen zu zahlen.
Ja, dann ist das so.

"FM" hat schon ein ebenso plakatives wie richtiges Beispiel genannt ("Sparkassenüberfall"). Wenn man -um es jetzt mal einfach zu halten- sich hinsichtlich einer Tat nur entlasten kann, indem man eine andere zugibt, ist das zwar ggf. unangenehm für den Betroffenen, liegt aber alleine in seiner Entscheidungshoheit, ob er es tut oder nicht. Es ist der Behörde nicht verwehrt einen Bussgeldbescheid (oder was immer) zu erlassen, weil sie voraussetzen muss, dass der Beschuldigte/Betroffene sich nur deswegen nicht entlastet, weil er dies nur dadurch könnte, indem er eine andere rechtswidrige Tat zugibt.

Aber abgesehen davon begründet ein Wohnsitz im Ausland auch alleine noch keine Fluchtgefahr, vgl. z.B. OLG Oldenburg, Beschluss v. 25.06.2009 – 1 Ws 349/03. Das gilt insbesondere für das EU-Ausland.
Aus "Stilblüten der Justiz":
"Die Reifeverzögerung des heranwachsenden Angeklagten ist dermaßen ausgeprägt, dass er in seiner Entwicklung einem Jugendrichter gleichzustellen ist"
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von BerndiZ »

J.A. hat geschrieben: 26.03.21, 12:44 Es ist der Behörde nicht verwehrt einen Bussgeldbescheid (oder was immer) zu erlassen, weil sie voraussetzen muss, dass der Beschuldigte/Betroffene sich nur deswegen nicht entlastet, weil er dies nur dadurch könnte, indem er eine andere rechtswidrige Tat zugibt.
Okay, finde ich jetzt nicht prickelnd. Vor allem im Vergleich, wo vom Diesel-Skandal betroffene Fahrzeuge ohne Software-Update nicht außer Betrieb genommen werden durften, wenn ein privates Beweissicherungsverfahren läuft.

Eine Frage noch zum Abschluss zum Thema HB.
In dem von Ihnen erwähnten Urteil geht es um den Haftgrund. Nach § 112 Abs. 3 StPO muss ein Haftgrund jedoch nicht immer vorliegen. So muss bei einem Totschlag z.B. kein Haftgrund vorliegen.

Die Fragen dazu wären:
In wie fern spielt es eine Rolle ob gegen A nun ein Verfahren wegen einem Totschlag läuft oder ob es z.B. ein Verfahren wg. Totschlag durch Unterlassen ist?

Im § 112 Abs. 3 StPO steht, dass die Untersuchungshaft dann angeordnet werden darf. Woran wird es dann bemessen, wenn nicht nach dem Haftgrund aus § 112 Abs. 2 StPO?
J.A.
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von J.A. »

BerndiZ hat geschrieben: 26.03.21, 14:50
In dem von Ihnen erwähnten Urteil geht es um den Haftgrund.
Ja, bei "Fluchtgefahr" (wonach gefragt war) handelt es sich ja um einen Haftgrund.
BerndiZ hat geschrieben: 26.03.21, 14:50 Nach § 112 Abs. 3 StPO muss ein Haftgrund jedoch nicht immer vorliegen. So muss bei einem Totschlag z.B. kein Haftgrund vorliegen.
Richtig
BerndiZ hat geschrieben: 26.03.21, 14:50Die Fragen dazu wären:
In wie fern spielt es eine Rolle ob gegen A nun ein Verfahren wegen einem Totschlag läuft oder ob es z.B. ein Verfahren wg. Totschlag durch Unterlassen ist?
Eine Rolle in Bezug auf was genau? In beiden Fällen handelt es sich um § 212 StGB. Einmal halt durch die Begehungsweise des § 13 StGB. Ob es da einen "Unterschied" (wie gesagt: in Bezug worauf?) gibt, ist eine Frage der Umstände des jeweiligen konkreten Einzelfalls.
BerndiZ hat geschrieben: 26.03.21, 14:50Im § 112 Abs. 3 StPO steht, dass die Untersuchungshaft dann angeordnet werden darf. Woran wird es dann bemessen, wenn nicht nach dem Haftgrund aus § 112 Abs. 2 StPO?
Nach den anderen Voraussetzungen der Untersuchungshaft. Dringender Tatverdacht und Verhältnismäßigkeit.
Dass in den genannten Fällen kein Haftgrund aus Abs. 2 vorliegen muss, heißt im Übrigen ja auch nicht, dass nicht de facto doch einer vorliegt (oder eben nicht)
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von BerndiZ »

J.A. hat geschrieben: 26.03.21, 15:59 Eine Rolle in Bezug auf was genau? In beiden Fällen handelt es sich um § 212 StGB. Einmal halt durch die Begehungsweise des § 13 StGB. Ob es da einen "Unterschied" (wie gesagt: in Bezug worauf?) gibt, ist eine Frage der Umstände des jeweiligen konkreten Einzelfalls.
Naja, nehmen wir mal drei Beispiele:
1) Eine Frau steigt die Treppe hinunter und wird von hinten getreten. (KA wie der Fall eigentlich ausgegangen ist, aber sagen wir mal, es wird nur ein Totschlag angeklagt.) Ich denke, hier ist ganz klar ein brutaler Täter zu Gange und ein HB wäre wohl angebracht.

2) Jemand fährt an einer Unfallstelle vorbei und statt zu helfen, filmt er nur mit seinem Handy

3) Jemand kommt in eine Bank rein und sieht auf dem Boden eine Person liegen. Er geht davon aus, dass es nur ein Obdachloser ist, der schläft. Tatsächlich geht es der liegenden Person schlecht und sie braucht Hilfe. Später verstirbt diese.

Beispiele 2 und 3) sind ja eine ganz andere Qualität, als 1). Doch wieso dürfte vor allem im Fall 3) es nicht zu einem HB kommen?
J.A. hat geschrieben: 26.03.21, 15:59 Nach den anderen Voraussetzungen der Untersuchungshaft. Dringender Tatverdacht und Verhältnismäßigkeit.
Dass in den genannten Fällen kein Haftgrund aus Abs. 2 vorliegen muss, heißt im Übrigen ja auch nicht, dass nicht de facto doch einer vorliegt (oder eben nicht)
Doch einer was? Ein Haftgrund? Oder dringender Tatverdacht?
Bleiben wir mal bei den drei Beispielen oben. Wieso sollte gegen einen Täter im Fall 3 keine U-Haft ergehen? Zumindest nach dem Gesetzestext. Die zu erwartende Strafe dürfte es ja rechtfertigen (Verhältnismäßigkeit). Der dringende Tatverdacht ist gegeben, da der Täter von den Überwachungskameras gefilmt wurde.
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von Deputy »

In den Fällen 2 und 3 geht es um eine Geldstrafe oder max. 1 Jahr Freiheitsstrafe; im Fall 1 um min. eine GefKV, d.h. grundsätzlich min. 6 Monate und bis zu 10 Jahren.

Das sind ganz andere Baustellen (die Garantenpflicht hab ich mal außen vorgelassen, die ist hier eher unwahrscheinlich).
J.A.
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von J.A. »

Beispiele 2 und 3) sind ja eine ganz andere Qualität, als 1).
Ja, schon deswegen, weil es sich bei 2 und 3 nicht um Totschlag handelt.

Bei 1 auch nur dann, wenn die Frau zu Tode gekommen ist (wovon im Sachverhalt nichts steht, wovon ich aber jetzt mal ausgehe, wenn es Sinn machen soll)
Ich denke, hier ist ganz klar ein brutaler Täter zu Gange und ein HB wäre wohl angebracht.
Du verkennst offenbar Sinn und Zweck von U-Haft. U-Haft ist keine "vorweggenommene Strafe" oder ein "Vorschuss auf die Strafe", sondern dient in erster Linie der Sicherung des Strafverfahrens und ggf. der Bannung von Wiederholungsgefahr. Auch bei jemanden, der einen anderen in Tötungsabsicht die Treppe runterschmeisst ist nicht zwangsläufig Wiederholungsgefahr gegeben.
Doch einer was? Ein Haftgrund? Oder dringender Tatverdacht?
Hmmm, mein 2. Satz aus dem Zitat lautete:
Dass in den genannten Fällen kein Haftgrund aus Abs. 2 vorliegen muss, heißt im Übrigen ja auch nicht, dass nicht de facto doch einer vorliegt (oder eben nicht)
Das "doch einer" bezog sich daher logischerweise auf den "Haftgrund aus Abs. 2".
Wieso sollte gegen einen Täter im Fall 3 keine U-Haft ergehen?
Weil der Schilderung nach kein dringender Tatverdacht (auf Totschlag ohnehin nicht) gegeben ist, kein Haftgrund ersichtlich ist, den es bei (wenn überhaupt) "unterlassener Hilfeleistung" oder schlechtestenfalls "fahrlässiger Tötung durch Unterlassen" (wofür man aber noch eine Garantenstellung herbeizaubern müsste) bräuchte und U-Haft in Hinblick auf die Höchststrafe von 1 Jahr Freiheitsstrafe (bzw. 5 bei § 222 StGB) auch nicht verhältnismäßig wäre, bei § 323c StGB ganz sicher nicht.
Der dringende Tatverdacht ist gegeben, da der Täter von den Überwachungskameras gefilmt wurde.
Nö. dringender Tatverdacht ist gegeben, wenn der dringende Verdacht besteht, dass der Verdächtige eine strafbare Handlung begangen hat. Das ist gem. der Sachverhaltsdarstellung von Nr. 3 nicht der Fall.
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Re: Beschuldigter wird zur Aussage gezwungen

Beitrag von Deputy »

J.A. hat geschrieben: 28.03.21, 18:34 Ja, schon deswegen, weil es sich bei 2 und 3 nicht um Totschlag handelt.

Bei 1 auch nur dann, wenn die Frau zu Tode gekommen ist (wovon im Sachverhalt nichts steht, wovon ich aber jetzt mal ausgehe, wenn es Sinn machen soll)
1 ist wahrscheinlich eine Anspielung auf einen Vorfall in Berlin, bei dem eine Frau eine Treppe zur UBahn runtergetreten wurde. Wenn ich es richtig im Kopf habe brach sie sich dabei den Arm und es kam zu einer Anklage wegen GefKV.

Der Fall wurde im Forum auch thematisiert.
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