Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
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Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Hallo zusammen,
wenn bei einer Anklage die Staatsanwaltschaft z. B. 5 Jahre Haft fordert, der Beschuldigte aber Freispruch, kann der Strafrichter dann einfach z. B. 6 Jahre Haft festsetzen?
Wo kann man die entsprechende Befugnis eines Strafrichters nachlesen?
Oder bei einem ersten Diebstahl beantragt die Anklage 30 Tagessätze, die Verteidigung 20 Tagessätze - der Richter setzt dann aber 40 Tagessätze fest. Geht das?
Im Zivilrecht ist es klar. Wenn nur ein Zahlungsantrag von 5000€ gestellt wird, kann der Richter maximal nur 5000€ ausurteilen.
Bin gespannt auf Eure Meinungen.
wenn bei einer Anklage die Staatsanwaltschaft z. B. 5 Jahre Haft fordert, der Beschuldigte aber Freispruch, kann der Strafrichter dann einfach z. B. 6 Jahre Haft festsetzen?
Wo kann man die entsprechende Befugnis eines Strafrichters nachlesen?
Oder bei einem ersten Diebstahl beantragt die Anklage 30 Tagessätze, die Verteidigung 20 Tagessätze - der Richter setzt dann aber 40 Tagessätze fest. Geht das?
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Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
StPO 267 Abs. 2 ist regelmäßig einer der Gründe, vom Antrag abzuweichen. Und das geht in beide "Richtungen".
Wer für generelle Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen ist, hebe bitte den rechten Fuß.
Für individuelle Rechtsberatung bitte "ALT" und "F4" auf der Tastatur gleichzeitig drücken.
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Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Es ergibt sich einfach aus der Gewaltenteilung, das Gericht ist von der Exekutive unabhängig (und der Staatsanwalt ist nur Exekutive).
Eine Einschränkung ist allerdings: wenn die Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten Berufung eingelegt hat (was überhaupt nur Sinn macht, wenn der Richter strenger urteilt als vom Staatsanwalt verlangt), darf das erstinstanzliche Urteil vom Berufungsgericht nicht verschärft werden.
Ganz gut vorstellen könnte ich mir den Fall, wenn z.B. bei einem Berliner Schöffengericht der Staatsanwalt Mitglied der Grünen, Veganer und Nur-Radfahrer ist, der Vorsitzende und die beiden Schöffen aber Autofahrer sind, der eine vielleicht sogar beim Rettungsdienst, und wenn es um einen Klimakleber geht. Und da wird auch ein Befangenheitsantrag wenig helfen.
Eine Einschränkung ist allerdings: wenn die Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten Berufung eingelegt hat (was überhaupt nur Sinn macht, wenn der Richter strenger urteilt als vom Staatsanwalt verlangt), darf das erstinstanzliche Urteil vom Berufungsgericht nicht verschärft werden.
Ganz gut vorstellen könnte ich mir den Fall, wenn z.B. bei einem Berliner Schöffengericht der Staatsanwalt Mitglied der Grünen, Veganer und Nur-Radfahrer ist, der Vorsitzende und die beiden Schöffen aber Autofahrer sind, der eine vielleicht sogar beim Rettungsdienst, und wenn es um einen Klimakleber geht. Und da wird auch ein Befangenheitsantrag wenig helfen.
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Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Vielen Dank für Eure Hinweise. Ganz verstehe ich das leider nicht.
In meinem Beispiel hat der Staatsanwalt 5 Jahre beantragt wegen Totschlag. Der Beschuldigte beantragt in dem reinen Indizienprozess Freispruch, weil er unschuldig sei. Dann kann der Richter nach § 267 Abs. 2 StPO eine höhere Strafe von z. B. 6 Jahren ausurteilen, weil der Beschuldigte behauptet, dass seine Unschuld "die Strafbarkeit ausschließt"??? Hab ich das richtig verstanden? Das wäre ja eine Art Maßregel des Gerichts, wenn der Beschuldigte sich verteidigt.
Und was ist, wenn ausschließlich der Beschuldigte Rechtsmittel einlegt im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot? Kann der Richter dann nochmals die 6 Jahre erhöhen?
In meinem Beispiel hat der Staatsanwalt 5 Jahre beantragt wegen Totschlag. Der Beschuldigte beantragt in dem reinen Indizienprozess Freispruch, weil er unschuldig sei. Dann kann der Richter nach § 267 Abs. 2 StPO eine höhere Strafe von z. B. 6 Jahren ausurteilen, weil der Beschuldigte behauptet, dass seine Unschuld "die Strafbarkeit ausschließt"??? Hab ich das richtig verstanden? Das wäre ja eine Art Maßregel des Gerichts, wenn der Beschuldigte sich verteidigt.
Und was ist, wenn ausschließlich der Beschuldigte Rechtsmittel einlegt im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot? Kann der Richter dann nochmals die 6 Jahre erhöhen?
Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Die sogenannte Strafgewalt des Gerichts ergibt sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz. So darf zum Beispiel das Amtsgericht nach § 24 Abs. 2 GVG höchstens zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilen.
Im Übrigen wird der Strafrahmen durch den Straftatbestand vorgegeben. Wird jemand beispielsweise wegen Betruges nach § 263 StGB verurteilt, liegt die höchstmögliche Strafe bei 5 Jahren Freiheitsstrafe bzw. 10 Jahren, wenn ein besonders schwerer Fall vorliegt. Bei schwereren Straftaten gelten auch Mindeststrafen, die grundsätzlich nicht unterschritten werden dürfen (zum Beispiel 6 Monate Freiheitsstrafe bei besonders schweren Betrugsfällen).
Welche Strafe höchstens zulässig ist, wenn wegen mehrerer Straftatbestände verurteilt wird, ergibt sich aus den §§ 52 bis 54 StGB.
Innerhalb dieser vom Gesetz vorgegebenen Grenzen ist das Gericht grundsätzlich frei, die angemessene Strafe unter Berücksichtigung aller für und gegen den Täter oder die Täterin sprechenden Umstände festzusetzen. Dabei gibt es durch jahrzehntelange Rechtsprechung entwickelte Gepflogenheiten, in welchen Konstellationen sich die Strafe in welchem Bereich des vom Gesetz oft sehr breiten Spektrums bewegen sollte. Die Gründe, die für die ausgesprochene Strafe sprechen, muss das Gericht in den Urteilsgründen niederschreiben, damit sie in einem eventuellen Rechtsmittelverfahren überprüft werden können.
Das Gericht ist nicht an die gestellten Anträge gebunden. Grundlage für die Strafzumessung ist nach § 46 StGB in erster Linie die Schwere der Schuld und die ist Ergebnis der freien gerichtlichen Beweiswürdigung nach § 261 StPO. So kann das Gericht nicht nur über die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafe hinaus gehen sondern auch einen geständigen Angeklagten freisprechen, der lediglich eine milde Strafe und nicht einen Freispruch beantragt hat.
Vereinfacht gesagt verliert die Staatsanwaltschaft mit Erhebung der Anklage ihre Hoheit über das Verfahren. Vor Klageerhebung kann die Staatsanwaltschaft über Fortgang oder Einstellung des Verfahrens entscheiden aber ab dem Zeitpunkt der Anklageerhebung liegt die Verantwortlichkeit für den Ausgang des Verfahrens allein beim Gericht.
Dass das Gericht an die Anträge der Parteien gebunden ist, ist im Wesentlichen eine Besonderheit des Zivilverfahrens, da der Staat grundsätzlich kein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens hat.
Im Übrigen wird der Strafrahmen durch den Straftatbestand vorgegeben. Wird jemand beispielsweise wegen Betruges nach § 263 StGB verurteilt, liegt die höchstmögliche Strafe bei 5 Jahren Freiheitsstrafe bzw. 10 Jahren, wenn ein besonders schwerer Fall vorliegt. Bei schwereren Straftaten gelten auch Mindeststrafen, die grundsätzlich nicht unterschritten werden dürfen (zum Beispiel 6 Monate Freiheitsstrafe bei besonders schweren Betrugsfällen).
Welche Strafe höchstens zulässig ist, wenn wegen mehrerer Straftatbestände verurteilt wird, ergibt sich aus den §§ 52 bis 54 StGB.
Innerhalb dieser vom Gesetz vorgegebenen Grenzen ist das Gericht grundsätzlich frei, die angemessene Strafe unter Berücksichtigung aller für und gegen den Täter oder die Täterin sprechenden Umstände festzusetzen. Dabei gibt es durch jahrzehntelange Rechtsprechung entwickelte Gepflogenheiten, in welchen Konstellationen sich die Strafe in welchem Bereich des vom Gesetz oft sehr breiten Spektrums bewegen sollte. Die Gründe, die für die ausgesprochene Strafe sprechen, muss das Gericht in den Urteilsgründen niederschreiben, damit sie in einem eventuellen Rechtsmittelverfahren überprüft werden können.
Das Gericht ist nicht an die gestellten Anträge gebunden. Grundlage für die Strafzumessung ist nach § 46 StGB in erster Linie die Schwere der Schuld und die ist Ergebnis der freien gerichtlichen Beweiswürdigung nach § 261 StPO. So kann das Gericht nicht nur über die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafe hinaus gehen sondern auch einen geständigen Angeklagten freisprechen, der lediglich eine milde Strafe und nicht einen Freispruch beantragt hat.
Vereinfacht gesagt verliert die Staatsanwaltschaft mit Erhebung der Anklage ihre Hoheit über das Verfahren. Vor Klageerhebung kann die Staatsanwaltschaft über Fortgang oder Einstellung des Verfahrens entscheiden aber ab dem Zeitpunkt der Anklageerhebung liegt die Verantwortlichkeit für den Ausgang des Verfahrens allein beim Gericht.
Dass das Gericht an die Anträge der Parteien gebunden ist, ist im Wesentlichen eine Besonderheit des Zivilverfahrens, da der Staat grundsätzlich kein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens hat.
Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Das ist nicht falsch, aber man kann dadurch den falschen Eindruck bekommen. Das Gericht braucht schon einen Grund, um den Angeklagten freizusprechen, wie z. B. dass das Gericht das Geständnis für unglaubwürdig hält, die Tat verjährt ist, der Angeklagte nicht schuldfähig ist, es keine Straftat gibt.
Das ist so nicht richtig. Eine Einstellung nach § 153 f StPO geht ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft gar nicht.Loanstar hat geschrieben: ↑17.05.23, 01:42 Vereinfacht gesagt verliert die Staatsanwaltschaft mit Erhebung der Anklage ihre Hoheit über das Verfahren. Vor Klageerhebung kann die Staatsanwaltschaft über Fortgang oder Einstellung des Verfahrens entscheiden aber ab dem Zeitpunkt der Anklageerhebung liegt die Verantwortlichkeit für den Ausgang des Verfahrens allein beim Gericht.
Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Wie Pünktchen schon richtig angeführt hat, kann / darf ein Gericht niemand freisprechen, wenn es von der Schuld überzeugt ist. Es gibt aber verschiedene Möglichkeiten der Einstellung (im Bereich 153 StPO zu finden) bzw. die §§ 59-60 (sind ein paar Kleinbuchstaben dabei).
Wendet das Gericht § 60 S. 1 StGB an, ist das kein Freispruch!
Wendet das Gericht § 60 S. 1 StGB an, ist das kein Freispruch!
Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Als Nachtrag:
Wenn eine Verurteilung wegen Schuldunfähigkeit nicht erfolgt (§20 StGB), ist das auch kein Freispruch.
Wenn eine Verurteilung wegen Schuldunfähigkeit nicht erfolgt (§20 StGB), ist das auch kein Freispruch.
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Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Wenn man verurteilt wird, ist es auch kein Freispruch. 

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Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Wenn der Staatsanwalt überhaupt eine Strafe fordert und der Richter auch zu einer verurteilt, ist Schuldunfähigkeit wohl nicht der Streitpunkt. Es geht wahrscheinlich um eine der folgenden Fragen:
- welche Straftat liegt genau vor (z.B. nur fahrlässige oder vorlässige Körperverletzung) - bei mehreren in Tateinheit (z.B. Trunkenheit am Steuer und Körperverletzung), alle oder nur einzelne?
-falls erstgenannter Punkt unumstritten ist, welches Strafmaß innerhalb des gesetzlichen Rahmens ist angemessen?
- welche Straftat liegt genau vor (z.B. nur fahrlässige oder vorlässige Körperverletzung) - bei mehreren in Tateinheit (z.B. Trunkenheit am Steuer und Körperverletzung), alle oder nur einzelne?
-falls erstgenannter Punkt unumstritten ist, welches Strafmaß innerhalb des gesetzlichen Rahmens ist angemessen?
Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
@Gammaflyer
Wie es in dem Satz schon heißt: es ist ein "Absehen von Strafe", Freispruch bedeutet, dass dem Angeklagten die Tat nicht nachgewiesen werden kann; kann die Tat nicht nachgewiesen werden, muss der Richter nicht von einer Strafe absehen, er darf keine verhängen.
Wie es in dem Satz schon heißt: es ist ein "Absehen von Strafe", Freispruch bedeutet, dass dem Angeklagten die Tat nicht nachgewiesen werden kann; kann die Tat nicht nachgewiesen werden, muss der Richter nicht von einer Strafe absehen, er darf keine verhängen.
Sie ist es nicht "wohl nicht", sie darf es nicht sein. Liegt Schuldunfähigkeit vor, darf keine Verurteilung erfolgen. Die Schuld ist zwingende Voraussetzung für eine Verurteilung.
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Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Und wie geht dann Ihrer Ansicht nach ein Verfahren zu Ende, in dem die Schuldunfähigkeit des Angeklagten festgestellt wurde, wenn nicht mit einem Freispruch?Deputy hat geschrieben: ↑19.05.23, 11:02 @Gammaflyer
Wie es in dem Satz schon heißt: es ist ein "Absehen von Strafe", Freispruch bedeutet, dass dem Angeklagten die Tat nicht nachgewiesen werden kann; kann die Tat nicht nachgewiesen werden, muss der Richter nicht von einer Strafe absehen, er darf keine verhängen.
Und nein, das ist kein "Absehen von Strafe" (i.S.d. §60 StGB).
Beispiele:
https://www.zeit.de/news/2022-02/25/nac ... ogle.de%2F
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... er388.html
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/er ... -1.5435174
Die Formulierung "Freispruch bedeutet, dass dem Angeklagten die Tat nicht nachgewiesen werden kann" greift auch zu kurz. Freispruch erfolgt nicht nur bei fehlendem Tatnachweis, sondern auch, wenn der Tatbestand schlicht nicht erfüllt wurde. Oder wenn die Tat nicht rechtswidrig war (z.B. wegen Rechtfertigung durch Notwehr), oder wenn der Täter schuldlos ist (sei es wegen Schuldunfähigkeit oder z.B. eines entschuldigenden Notstandes).
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Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Wenn der Täter schuldunfähig ist, wird das Verfahren eingestellt und es werden ggf gewisse Beschlüsse erstellt wie zB. die Unterbringung in einer gewissen Anstalt
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Re: Strafrichter: Kann er höhere Strafe als beantragt festsetzen?
Nach welcher Vorschrift wird dann eingestellt?
Und was ist mit meinen Beispielen?
Und was ist mit meinen Beispielen?
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