Welche Instanzen zuvor?

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Mark Herzog
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Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von Mark Herzog »

Ich möchte folgende These vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen:

Der Art 21 GG definiert mit "... wirken bei der politischen Willensbildung mit.." die Aufgaben der politischen Parteien in Deutschland.

Ich behaupte, dass die Parteien diese Aufgabe nicht - oder nicht vollumfänglich - erfüllen und statt dessen die Politik im Land GESTALTEN. Anstatt die variablen Aspekte politischen Handelns den Wählern darzulegen, nehmen sie für sich in Anspruch, durch auf sie bzw. auf von ihnen in den Wahlkreisen gestellte Kandidaten entfallene Stimmen legitimiert zu sein, den Willen ihrer Wähler ZU VERTRETEN. Dies lässt sich m. Ea. aus dem Art 21 GG nicht ableiten.

Die Parteien haben sich dazu das Instrument der sogen. "Fraktionsdiziplin" geschaffen: Indem Sie in Missachtung des Art 38 GG den Abgeordneten ihrer jeweiligen Fraktionen die freie Gewissensentscheidung verweigern und sie ggf. mit Sanktionen belegen, setzen sie von den Gremien der Parteien festgelegten Grundsätze durch, wobei sie in dieser Praxis zudem auch nicht zwischen Trägern von Direktmandaten und solchen, die über Parteilisten ins Amt gekommen sind, unterscheiden.

Die Folgen sind

- ein faktischer Ausschluss des Willens der Wähler, welche über einen Wahlkreis einen Abgeordneten in den Bundestag entsandt haben (Direktmandat)
- eine - hinsichtlich des Einflusses auf das politische Geschehen - nachhaltige Abwertung der Stimmen solcher Wähler, die für eine der sogen. "Oppositionsparteien" gestimmt haben
- ein überproportional hoher Einfluss von Lobbyisten, generiert durch Spenden an die Parteien, die wie oben beschrieben Einfluss nehmen.

Ich möchte beantragen, dass das BVG die Parteien anweist, z.B. durch Ergänzung des Art 41 GG darauf hin zu wirken, dass im Bundestag - insbesondere von den Wahlkreis-Mandatsträgern - nur noch anonym abgestimmt werden darf, um so die beschriebene Einflussnahme dadurch zu begrenzen, dass sich das Abstimmungsverhalten einzelner Abgeordneter nicht mehr kontrollieren und folglich auch nicht mehr sanktionieren lässt.

Mir ist bewusst, dass eine ähnliche Regelung auch über die Geschäftsordnung des Bundestages erreichbar wäre. Dies jedoch ist m. Ea. zu labil, da die Geschäftsordnung zu jeder Legislaturperiode geändert werden kann.

Meine Frage:

Ich habe dem Merkblatt für Verfassungsbeschwerden entnommen, dass grundsätzlich das Prinzip der Rechtswegerschöpfung gilt. Welche Instanz(en) müsste ich mit meiner Beschwerde zuvor befassen, um Aussicht auf Zulassung beim BVG zu erlangen?
FM
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von FM »

Um zu klagen, müsste man erst mal selbst betroffen sein. Wäre am ehesten denkbar, wenn man selbst Abgeordneter ist.

Zu den diversen Argumenten beachte man Art. 38 GG. Nicht die Parteien, aber die Abgeordneten dürfen schon das Volk vertreten. Sanktionen sind nicht möglich, außer denjenigen bei der nächsten Wahl nicht mehr aufzustellen oder nicht als Vertreter der Fraktion mit bestimmten Aufgaben zu betrauen. Er kann dann aber bei einer anderen Partei oder als Einzelbewerber antreten.
Mark Herzog
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von Mark Herzog »

FM hat geschrieben: 27.08.21, 15:38 Um zu klagen, müsste man erst mal selbst betroffen sein. Wäre am ehesten denkbar, wenn man selbst Abgeordneter ist.
Das bin ich. Ich bin Wähler einer Partei, die "in der Opposition" gelandet ist. Im Merkblatt ist diese Notwendigkeit im Übrigen aber auch nicht erwähnt. Dafür habe ich sehr wohl zur Kenntnis genommen: "Grundsätzlich gibt es auch keinen mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbaren Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers.". Damit ist leider klar, dass es ein Urteil. den § 41 GG zu ändern so konkret nicht geben kann. https://www.bundesverfassungsgericht.de ... nFile&v=18

FM hat geschrieben: 27.08.21, 15:38Zu den diversen Argumenten beachte man Art. 38 GG. Nicht die Parteien, aber die Abgeordneten dürfen schon das Volk vertreten.
Damit bin ich ja einverstanden. Ich nehme aber wahr, dass der Wahlkreisabgeordnete eben NICHT meine Wählerinteressen vertritt, sondern die der Partei bzw. der Fraktion. Dafür gibt es verschiedenste Beispiele.
FM hat geschrieben: 27.08.21, 15:38Sanktionen sind nicht möglich, außer denjenigen bei der nächsten Wahl nicht mehr aufzustellen oder nicht als Vertreter der Fraktion mit bestimmten Aufgaben zu betrauen. Er kann dann aber bei einer anderen Partei oder als Einzelbewerber antreten.
Sorry, aber das ist ein Widerspruch... "nicht möglich" & "außer.." Aber um genau Diese Sanktionen geht es. Welche sachliche Notwendigkeit gibt es, eine namentliche Abstimmung gem. Geschäftsordnung des Bundestages durchzuführen, wenn nicht die, das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten zu kontrollieren und bei "Missfallen" zu sanktionieren? Alleine die Unterscheidung zwischen Direktmandatsträger und Listenplatz-Mandatsträger legt nahe, dass die Gewichtung der Einflussnahmemöglichkeit zu Gunsten des Wählers im Wahlkreis beabsichtigt war. Polemisch gefragt: Was geht es da die anderen Abgeordneten an, wie dieser Wahlkreisvertreter gestimmt hat?

Bleibt die Frage: Welche Instanzen sind anzurufen, um dem Rechtswegerschöpfungsprinzip zu genügen?
Chavah
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von Chavah »

Die Individualverfassungsbeschwerde, die soll wohl eingereicht werden, setzt nun mal (wie richtig erkannt) ein Ausreizen des normalen Rechtsweges voraus. Wenn dieser nicht gegeben ist, dann scheidet auch ein erfolgreicher Gang zum VerfG aus.

Chavah
Mark Herzog
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von Mark Herzog »

Chavah hat geschrieben: 27.08.21, 17:54 Wenn dieser nicht gegeben ist, dann scheidet auch ein erfolgreicher Gang zum VerfG aus.

Chavah
Quelle?

Und bei welcher Instanz müsste man gegen § 53 der Geschäftsordnung des Bundestages Beschwerde einlegen, mit dem Ziel ihn zu streichen? https://www.gesetze-im-internet.de/btgo ... O_1980.pdf Ich nehme an, das über dem Bundestag selbst nur noch das BVG ist und die Bundestagsverwaltung dürfte kaum zuständig sein.
FM
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von FM »

Die Verfassungsbeschwerde ist in Art. 93 definiert:
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
In welchem Recht wäre der Bürger, der kein Abgeordneter ist, verletzt? Art. 21 ist hier nicht genannt. Es wäre wohl nur Art. 38 ein Ansatzpunkt. Aber wählen darf man ja frei. Ob der Gewählte dann als MdB sich dem Fraktionszwang unterwirft, entscheidet er im Rahmen des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 selbst. Eine Klage gegen einen Abgeordneten aufgrund seines Abstimmungsverhaltens ist nicht zulässig, das würde gegen Art. 46 Abs. 1 verstoßen.

Dass eine Partei ihn bei künftigen Wahlen nicht mehr aufstellt, wenn er als MdB die Linie der Partei nicht vertreten hat, entspricht demokratischen Grundsätzen (wobei die Partei selbst entscheidet, welche und wie häufige Verstöße da relevant sind). Die "innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen" (Art. 21 Abs. 1), also muss das zuständige Parteigremium entscheiden können, wen es zur Wahl aufstellen will oder eben nicht mehr. Hier erscheinen eher geheime Abstimmungen als bedenklich, da dies die innerparteiliche Meinungsfindung beeinträchtigt und das Parlament öffentlich "verhandelt" (Art. 42), wobei nicht genau definiert ist, ob die Abstimmung zur Verhandlung gehört.
Chavah
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von Chavah »

@ Topicstarter, zur Frage nach der Quelle. Du verstehst das System nicht. Es ist in Gesetzen nicht niedergelegt, was man nicht darf, sondern niedergelegt, was wer darf. Die Zuständigkeiten sind geregelt. Denn alle Unzuständigkeiten aufzuzählen, das ginge ja gar nicht. Und für Gesetzesänderungen ist nun mal die gesetzgebende Gewalt zuständig, hier der Bundestag, oder gegebenenfalls auch der Landtag oder noch weiter unten das kommunale Parlament. Und nicht der einzelne Bürger.

Chavah
FM
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von FM »

Chavah hat geschrieben: 27.08.21, 18:41 Es ist in Gesetzen nicht niedergelegt, was man nicht darf, ...
Kleine Korrektur: im StGB schon, und andernorts teilweise auch. Aber darum geht es bei dieser Frage nicht. Dennoch erscheint mir der Hinweis nötig, weil sonst zu sehr verallgemeinert wird.
Chavah
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von Chavah »

FM, hast ja recht. Ich hab nur auf den Problemkreis geguckt, um den es dem Fragesteller geht. Beim Strafanspruch des Staates, klar, da muss definiert sein, was verboten ist, damit es zu keinen Willkürentscheidungen kommt. Gilt natürlich auch für andere Bereiche des öffentlichen Rechts. Aber auch da ist doch geregelt, wer was darf, wer zuständig ist, nicht, wer alles unzuständig ist. Der Staatsanwalt darf anklagen, nicht der interessierte Bürger. Die Ordnungsbehörde regelt was auch immer.

Chavah
Mark Herzog
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von Mark Herzog »

FM hat geschrieben: 27.08.21, 18:15 Die Verfassungsbeschwerde ist in Art. 93 definiert:
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
In welchem Recht wäre der Bürger, der kein Abgeordneter ist, verletzt?
ich betone den Art 93 mal etwas anders um eine mögliche Antwort auf die Frage zu geben:
Art 93
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
Und dann ein Blick auf die Grundrechte:
Art 3
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Entfaltet die für eine Oppositionspartei abgegebene Stimme noch die Wirkung, wie die, die für eine Regierungspartei abgegeben wurde? Ok, das ist die Niederlage der Demokratie, die man als Demokrat ertragen muss, aber haben wir es nicht leicht nachweisbar sehr oft damit zu tun, dass Anträge der Opposition absolut vernünftig sind, aber dennoch abgelehnt werden, um leicht anders formuliert kurze Zeit später als Vorschlag der Regierungsparteien wieder abgestimmt und dann angenommen zu werden?

Welchem Zweck dient die Unterscheidung zwischen Listenplatz-Mandat und Direktmandat, wenn nicht dem, den Einfluss auf das politische Handeln der Abgeordneten zwischen Parteien und dem Wähler direkt unterschiedlich zu gewichten? Wird die Wirkung dieser Bestimmung nicht nachhaltig berührt, wenn sich auch der Direktmandatsträger der Kontrolle durch die Parteien unterwerfen muss?

Einen Anspruch des Wählers im Wahlkreis auf die Kenntnis des Abstimmungsverhaltens seines Abgeordneten will ich zugestehen. Dieser ist in Zeiten moderner Medien aber auch realisierbar, ohne namentliche Abstimmung gem. § 53 der Geschäftsordnung des Bundestages.
Art 20
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
Geht noch alle Staatsgewalt vom Volk aus, oder geht sie mittlerweile viel mehr von Parteien und denen aus, die diese Parteien durch Spenden finanzieren?
FM
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von FM »

Mark Herzog hat geschrieben: 27.08.21, 21:02 Geht noch alle Staatsgewalt vom Volk aus, oder geht sie mittlerweile viel mehr von Parteien und denen aus, die diese Parteien durch Spenden finanzieren?
Wenn die Parteien vom Volk mehrheitlich gewählt wurden, wo ist dann das Problem?

Es kommt immer wieder mal vor, dass deshalb Organisationen antreten, die sich ausdrücklich zuerst mal nicht als Partei verstehen. Gerne nennen sie sich dann Bewegung. So zum Beispiel um 1980 die Grünen, seit einigen Jahren die AfD, in Frankreich La République en Marche. Auch die "Freien Wähler" sehen das so ähnlich. Aber natürlich werden das alles dann auch Parteien.

Bei der Erststimme für den Bundestag dürfen aber auch parteilose Einzelbewerber antreten. Meines Wissens hat aber noch nie ein parteiloser Wahlkreisbewerber gewonnen. Offenbar wollen die Wähler das nicht. Bei der Zweitstimme müssen es "Listen" sein, und das sind dann eben Parteien, auch wenn sie es nicht sein wollen. Auch das ist aber nicht im Grundgesetz festgelegt. Wenn die Mehrheit das nicht mehr will, kann man auch eine reine Mehrheitswahl in Wahlkreisen einführen.
Mark Herzog
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von Mark Herzog »

FM hat geschrieben: 28.08.21, 19:05
Mark Herzog hat geschrieben: 27.08.21, 21:02 Geht noch alle Staatsgewalt vom Volk aus, oder geht sie mittlerweile viel mehr von Parteien und denen aus, die diese Parteien durch Spenden finanzieren?
Wenn die Parteien vom Volk mehrheitlich gewählt wurden, wo ist dann das Problem?
Ich sehe das Problem darin, dass die Parteien NICHT den Auftrag erfüllen, der ihnen nach Art 21 GG zugedacht ist. Ich verstehe zugleich die Frage, weil sie impliziert, dass der Art. 21 traditionell als Legitimation dafür betrachtet wird, dass die PARTEIEN (nicht die Abgeordneten!!) die Wähler vertreten. Das wird seit Jahrzehnten so gemacht, das weiß ich. Zu Zeiten, als man zwischen der Parteiideologie eines Herbert Wehner und der eines Franz Josef Strauss (nur als Beispiel!!) noch trefflich unterscheiden konnte, ist das auch nicht wirklich aufgefallen. Heute haben wir aber z.B. eine Grüne "Friedens"-Partei, die militärisches Engagement akzeptiert und eine konservative Kanzlerin, die aus der Atomkraft aussteigt. Die Realität der Globalisierung hat ALLE eingeholt (mit geringen Ausnahmen). Die extrem zähen Verhandlungen zur letzten Koalitionsbildung machen - wie ich meine - schmerzlich bewusst, wie gering der Spielraum für ideologische Unterschiede noch ist und sie machen auch deutlich, wie sehr sich die Parteien ZWISCHEN Wähler und Parlament geschoben haben. Noch einmal: Wenn selbst Abgeordnete mit Direktmandaten (völlig egal wie sie zu ihrer Kandidatur gekommen sind) der Fraktionsdisziplin inkl. Sanktionen unterworfen werden, dann ist das Grundrecht jedes Bürgers auf die Ausübung der Staatsgewalt, welche gem. Art 20 vom Volk ausgeht, beschränkt. Eine weitere Beschränkung besteht darin, dass Wählerstimmen, die auf die sogen. Oppositionsparteien entfallen sind, ganz prinzipiell (!!) kaum noch Gewicht haben, denn das Instrument der Fraktionsdisziplin verhindert Entscheidungen in der Sache und im Interesse des Wahlkreiswählers zugunsten von Entscheidungen entlang einer Parteidoktrin.

Die Unterscheidung zwischen Listenplätzen und Direktmandaten macht nur Sinn, wenn beabsichtigt war bzw. ist, dass der Wähler eine Politik wählen soll und nicht ein Parteiprogramm
(z.B. "des geringeren Übels").

Ich denke, dass man sich in diesem Kontext auch einmal vergegenwärtigen muss, dass in ganz Deutschland nur rd. 1,2 von 80 Mio Menschen überhaupt in einer Partei organisiert sind. Bitte leiten Sie doch aus dem Text des Art 21 einmal ab, dass die Parteien - sei es, dass sie "nur" als "Bewegung" daher kommen oder als fertig organisierte Partei - das Recht haben, ihre Wähler über die Besetzung von Listenplätzen hinaus zu vertreten. Dieses Recht haben nur die Abgeordneten selbst und es wird ihnen durch das Mittel der Fraktionsdisziplin in Verstoß gegen Art 38 GG (keinerlei Weisung) genommen.

Lieber FM, wir beide können uns möglicherweise nicht auf eine gemeinsame Interpretation des Art. 21 einigen und beurteilen folglich auch die von mir reklamierte "Verletzung" des Art 38 unterschiedlich. Daher komme ich zu meiner ursprünglichen Frage zurück: Wie erreiche ich eine definitiv kompetente Überprüfung unser beider Ansichten durch eine zuständige Instanz?
hambre
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von hambre »

Ich sehe das Problem darin, dass die Parteien NICHT den Auftrag erfüllen, der ihnen nach Art 21 GG zugedacht ist.
Das solltest Du zunächst einmal näher begründen, da ich Deine bisherige Begründung schon nicht nachvollziehen kann geschweige denn, dass ich sie teile.
Ich verstehe zugleich die Frage, weil sie impliziert, dass der Art. 21 traditionell als Legitimation dafür betrachtet wird, dass die PARTEIEN (nicht die Abgeordneten!!) die Wähler vertreten.
Wie kommst Du jetzt darauf?
Das wird seit Jahrzehnten so gemacht, das weiß ich
Das wurde noch nie so gemacht, denn wenn ich der Argumentation folgen würde, dann könnten Parteien, die nicht im Parlament vertreten sind auch nicht an der politischen Willensbildung mitwirken. Das ist jedoch ganz offensichtlich nicht der Fall.
Die extrem zähen Verhandlungen zur letzten Koalitionsbildung machen - wie ich meine - schmerzlich bewusst, wie gering der Spielraum für ideologische Unterschiede noch ist und sie machen auch deutlich, wie sehr sich die Parteien ZWISCHEN Wähler und Parlament geschoben haben.
Das verstehe ich ebenfalls nicht. Die Unterschiede zwischen den Linken und der AfD halte ich für eklatant. Dass sich die Volksparteien immer weniger unterscheiden führt letztlich dazu, dass dann neue Parteien in das Parlament gewählt werden, weil selbstverständlich auch Parteien außerhalb des Parlamentes an der politischen Willensbildung mitwirken. Das alleine zeigt schon, dass Deine Interpretation, wie politischen Willensbildung erfolgt nicht tragfähig ist.
Wenn selbst Abgeordnete mit Direktmandaten (völlig egal wie sie zu ihrer Kandidatur gekommen sind) der Fraktionsdisziplin inkl. Sanktionen unterworfen werden, dann ist das Grundrecht jedes Bürgers auf die Ausübung der Staatsgewalt, welche gem. Art 20 vom Volk ausgeht, beschränkt. Eine weitere Beschränkung besteht darin, dass Wählerstimmen, die auf die sogen. Oppositionsparteien entfallen sind, ganz prinzipiell (!!) kaum noch Gewicht haben, denn das Instrument der Fraktionsdisziplin verhindert Entscheidungen in der Sache und im Interesse des Wahlkreiswählers zugunsten von Entscheidungen entlang einer Parteidoktrin.
Bevor man wegen so einer Argumentation eine Verfassungsklage einreicht, sollte man sich zunächst einmal damit beschäftigen, wie das BVerfG bereits in der Vergangenheit zu dieser Frage Stellung bezogen hat, z.B. das BVerfG-Urteil vom 13. Juni 1989 (Az.: 2 BvE 1/88). Das geht schon mit der Frage los, wer überhaupt antragsberechtigt wäre.
Chavah
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von Chavah »

Man kann doch, wie so häufig in der Juristerei, die ganze Angelegenheit auf einige ganz einfache Punkte zurückführen.

- Man braucht eine Legitimation zur Klageerhebung -

- Die Klage muss materiell-rechtlich begründet sein -

- Man hat Beweisregeln zu beachten -


Schon der erste Punkt ist hier nicht erfüllt, der einzelne Bürger kann nun mal nicht die direkte Befugnis, in einem Fall wie hier vor dem BerfG zu klagen. Damit kommen wir überhaupt nicht mehr zu Punkt zwei oder drei. Wie man eine Änderung des GG herbeiführt, auch das ist auch festgelegt, wir haben keine rechtsfreien Räume.

Damit kommen wir schon zum Ende der Fahnenstange. Abgesehen davon tun die Parteien doch viel für die politische Bildung im Land. Es wird doch jede Menge veröffentlicht, was für die Willensbildung da ist. Nur Zwangserziehung ist nun mal auch nicht vorgesehen.

Es bleibt dem Fragesteller doch unbenommen, den im Grundgesetz/den sonstigen Gesetzen vorgegebenen Weg einzuschlagen, wenn er etwas ändern will.

Chavah
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Re: Welche Instanzen zuvor?

Beitrag von Mark Herzog »

hambre hat geschrieben: 29.08.21, 01:24
Ich sehe das Problem darin, dass die Parteien NICHT den Auftrag erfüllen, der ihnen nach Art 21 GG zugedacht ist.
Das solltest Du zunächst einmal näher begründen, da ich Deine bisherige Begründung schon nicht nachvollziehen kann geschweige denn, dass ich sie teile.
OK, diskutieren wir in der Sache...

Juristen orientieren sich doch üblicherweise am Wortlaut eines Gesetzestextes. In diesem Zusammenhang stelle ich dann die Frage:

Kann mit "wirken an der politischen Willensbildung mit" tatsächlich gemeint sein, dass die Parteien die auf sie entfallenden Stimmen als Legitimation dazu verstehen, ein Parteiprogramm, an dem nur sehr sehr wenige Menschen, die überhaupt in einer Partei organisiert sind, GEGEN andere Parteien oder auch auf dem Weg des Kompromisses eines Koalitionsvertrages MIT anderen Parteien dann umzusetzen?

Zugegeben: Genau daran haben wir uns alle gewöhnt. Aber ist der deshalb auch richtig? Ist es dem Wortlaut des Art. 21 folgend nicht vielmehr Aufgabe der Parteien, Zusammenhänge in der Politik zu erarbeiten und dem Wähler aus der einen oder eben der anderen Perspektive zu erklären und den Versuch zu machen, den Wähler jeweils für diese eine oder diese andere Perspektive zu gewinnen?

Ist mit "mitwirken an der politischen Willensbildung" wirklich gemeint, die Wähler, welche die Partei gewählt haben, im Parlament zu repräsentieren? Ist damit gemeint, dass die Gremien der Partei vorgeben dürfen, was die nächsten 4 Jahre geschehen soll, wissend, dass die Globalisierung zu ständigen Veränderungen führen wird? Ist damit gemeint, dass das Schicksal der Republik in die Hände der Gremien gelegt wird, die in den Parteien die Richtung bestimmen und eben NICHT in die Hände der Abgeordneten, die dann der Fraktionsdisziplin mehr zu folgen haben, als dem Willen des Wählers z.B. aus dem Wahlkreis? Letzteres könnte ich für Abgeordnete mit Listenplätzen ja noch nachvollziehen.... aber für solche mit Direktmandaten???

Die Folge ist doch genau das, was Du beschreibst: 1.) die sogen "Oppositionsparteien" haben schon AUS PRINZIP weniger Einfluss, weil - auch wenn sie mal eine vernünftige Idee haben - sie niedergestimmt werden. Oft wird die identische Idee später von den Regierungsparteien präsentiert und angenommen (Beispiel "Evakuierung aus Afganistan"). 2.) Wenn im Gesetz steht "... ist keiner Weisung unterworfen", dann aber Weisungen erteilt werden und deren Nichtbefolgung sanktioniert wird, dann verstehe ich nicht, wie ein Jurist (oder das BVG) zu dem Schluss kommen kann, dass das OK ist. 3.) Ich habe noch immer keine Erklärung dafür, warum es nicht NUR Listenplätze gibt bzw. warum es nicht NUR Direktmandate gibt. Wo unterscheiden sich die Rechte und Pflichten dieser Abgeordneten?

Und die Parteien, die gar nicht im Parlament vertreten sind: Sie haben NULL Einfluss. Das ist OK, weil Weimarer Verhältnisse ohne 5% Hürde will auch ich nicht.

Wenn meine Sichtweise richtig wäre stellt sich natürlich die Frage: Wie verhindert man, dass diese Mechanismen so funktionieren?

Die Antwort lautet: Man beauftragt seitens des BVG das Parlament, Bedingungen zu schaffen, die es erlauben, dass insbesondere ein Wahlkreisdelegierter ohne Sanktionen befürchten zu müssen, seinem Gewissen und NUR seinem Gewissen folgen kann. Ich sehe in diesem Ansinnen keinen Widerspruch zu der Rechtsauffassung, das Existenzrecht und die Bedeutung der Fraktionen betreffend. (https://www.bundestag.de/resource/blob/ ... f-data.pdf). Allerdings wird hier davon ausgegangen, dass ein Fraktionsausschluss ein legitimes Mittel der Disziplinierung dann ist, wenn das arbeitsteilige Zusammenwirken von Abgeordneten in einer Fraktion nicht mehr sinnvoll und möglich ist, kurz: sie nicht mehr durch ein wechselseitiges Grundvertrauen miteinander verbunden sind. Diese Gewichtung des freien Mandates gem. Art 38 GG halte ich für fragwürdig (und würde sie gerne erneut prüfen lassen), weil die prinzipiellen Unterschiede der Parteien im Rahmen der Globalisierung gelitten haben (Siehe meinen Wehner/Strauss-Vergleich) und weil diese Entwicklung m. Ea. längst zu einer unvertretbaren Behinderung parlamentarischen Handelns führt. Zugleich hat sich der Einfluss der Industrie, ausgeübt über deren Lobbyisten und über die indirekte Korruption in Form von Parteienspenden zu Ungunsten der Wähler verändert. Dies wiederum führt zu Unzufriedenheit in der Wählerschaft, welche in sinkender Wahlbeteiligung und im immer lauter werdenden Verlangen nach mehr Volksdemokratie zum Ausdruck kommt.
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