Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Moderator: FDR-Team

Antworten
o0Julia0o
Topicstarter
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 631
Registriert: 22.06.12, 09:01

Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von o0Julia0o »

hi, folgender fiktiver Fall: Eine Frau plant eine "Alleingeburt" (sprich ohne medezinisches Personal) und hat auch keine Vorsorgetermine wahrgenommen, nachdem sie beim Gynäkologen war, der durch Ultraschall die Schwangerschaft bestätigt und auch den errechneten Termin festgelegt hat. Dort war alles in Ordnung. Ich finde dazu Folgendes:

Zunächst steht dort:
"Die freie Entscheidung, ein Kind zu bekommen oder nicht und über die Umstände der Geburt zu bestimmten, ist verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG garantiert."
Quelle: https://www.dhz-online.de/news/detail/a ... r-freiheit

Dann aber auch:
"Die Alleingeburt ist indes mit einem erheblichen Strafbarkeitsrisiko für die Schwangere verbunden – nicht nur in Deutschland. Bereits das Reichsgericht in den 1920er Jahren hat eine Schwangere, deren Kind anlässlich einer Alleingeburt verstorben war, nach § 217 StGB aF (in der bis zum 01.04.1998 geltenden Fassung) wegen Kindstötung verurteilt, da »eine Rechtspflicht der Schwangeren bestehe, die zur Erhaltung des Lebens des Kindes erforderlichen Maßnahmen zu treffen und demgemäß eine sich etwaig nötig machende Hilfeleistung zu ermöglichen« (RG JW 1927, 2696 f.)."

Weiterhin steht dort:
"Ausdrücklich stellt das Bundesverfassungsgericht fest: »Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden.« (BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90, BVerfG, Urteil vom 25. Februar 1975– 1 BvF 1/74)."

Doch auch diese Inforamtion habe ich dazu in der Quelle gefunden:
"Diese Rechtspflicht zur Hinzuziehung professioneller Hilfe trifft die Schwangere nach der neueren Rechtsprechung erst ab dem Einsetzen der Geburtswehen(BGH Urt. v. 12.11.2009, aaO).

Der Entscheidung des BGH von 2009 kann entnommen werden, dass keine Pflicht der werdenden Mutter besteht, sich bei jeder Geburt fremder Hilfe zu vergewissern, ohne Bezug zu einer konkreten Gefahr. Die Hinzuziehungspflicht besteht aber immer dann, wenn schon die Schwangerschaft nicht problemlos verlief oder wegen Vorerkrankungen oder sonstiger Risiken absehbar sei, dass bei der Geburt Gefahren für Leib oder Leben des Kindes entstehen könnten. Der BGH bestimmt diese »sonstigen Risiken« indes nicht näher."

Darüberhinaus rät die Hebamme von einer Alleingeburt ab, weil diese Risiken beherbergt und würde die werdende Mutter als Kundin ablehnen, und möchte zudem, dass die werdende Mutter ihr die Abratung unterschreibt.

Wenn durch die Geburt der Mutter oder dem Kind etwas zustoßen würde(z.B. bleibende Schäden), wie kann jemand beweisen, dass die Schwangerschaft problemlos verlief oder wäre solch ein Beweis nach der aktuellen Rechtssprechung gar nicht notwendig? Wer käme für die Schäden auf? Die Krankenversicherung oder müsste das die Mutter selbst bezahlen?

Wie ist hier die allgemeine Rechtslage?
ExDevil67
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 8169
Registriert: 17.01.14, 09:25

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von ExDevil67 »

Das es im Falle eines Falles vermutlich auf die dann konkreten Umständes des Einzelfalls ankommen wird und welche dann noch wie konkret nachweisbar sind.
FM
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 24156
Registriert: 05.12.04, 16:06

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von FM »

Das gesundheitliche Risiko tragen die Mutter und das Neugeborene.

Ein Leistungsausschluss in Bezug auf die Krankenkasse kommt kaum in Betracht, da spielt Verschulden fast nie eine Rolle.

Denkbar wäre eine strafrechtliche Verantwortung der Mutter, und eine zivilrechtliche für Schadensersatz gegenüber dem Kind. Sollte das Kind bei der Entbindung sterben, wird kaum ein finanzieller Schaden entstehen, aber bei einer lebenslangen Behinderung kann es da schon um extrem hohe Summen gehen.
Aber eben: denkbar. Genau weiß man es nach den rechtskräftigen Urteilen zum Einzelfall.

Eine Haftung anderer Personen ist aus dem Sachverhalt nicht erkennbar, wäre aber ansonsten auch möglich (z.B. Personen die dabei waren und nicht den Rettungsdienst gerufen haben).
Stefanie145
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 3866
Registriert: 18.02.05, 17:01

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von Stefanie145 »

FM hat geschrieben: 15.11.23, 22:43Ein Leistungsausschluss in Bezug auf die Krankenkasse kommt kaum in Betracht, da spielt Verschulden fast nie eine Rolle.
Es sollte jedoch dabei bedacht werden, dass insbesondere bei Körperverletzungsdelikten die Krankenkasse von den Schädigern ebenfalls Schadenersatz verlangen können und dies auch praktiziert wird.
Dies würde bedeuten, dass wenn die Mutter wegen Körperverletzung am Kind verurteilt werden würde, könnte die Krankenkasse von der Mutter alle Behandlungskosten die auf die Körperverletzung zurückzuführen sind, zurückfordern.
Mogli
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 5005
Registriert: 13.12.04, 15:03
Wohnort: Pfalz

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von Mogli »

Stefanie145 hat geschrieben: 16.11.23, 06:21
Es sollte jedoch dabei bedacht werden, dass insbesondere bei Körperverletzungsdelikten die Krankenkasse von den Schädigern ebenfalls Schadenersatz verlangen können und dies auch praktiziert wird.
Dies würde bedeuten, dass wenn die Mutter wegen Körperverletzung am Kind verurteilt werden würde, könnte die Krankenkasse von der Mutter alle Behandlungskosten die auf die Körperverletzung zurückzuführen sind, zurückfordern.
Da steht in § 116 Abs. 6 im SGB X aber was anderes.....

Häusliche Gemeinschaft besteht, Vorsatz der Mutter in Bezug auf die Schädigung des Neugeborenen dürfte nicht nachweisbar sein. Somit keine Regressmöglichkeit gegen die Mutter.
Grüße, Mogli
********************
Diese Auskunft ist kostenlos, aber hoffentlich nicht umsonst.
ExDevil67
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 8169
Registriert: 17.01.14, 09:25

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von ExDevil67 »

Mogli hat geschrieben: 16.11.23, 06:39 Häusliche Gemeinschaft besteht, Vorsatz der Mutter in Bezug auf die Schädigung des Neugeborenen dürfte nicht nachweisbar sein. Somit keine Regressmöglichkeit gegen die Mutter.
Juristen vor würde ich sagen. AFAIR hängen doch bestimmte Ansprüche / Rechte des Kindes an seinem Geburtszeitpunkt. Dementsprechend wäre für mich die Frage wann beginnt die häusliche Gemeinschaft zwischen Mutter und Kind und wann genau, sofern nachträglich bestimmbar, fand die Schädigung statt. Und von Vorsatz lese ich in §116 SGB X nix, nur was von Ansprüchen die auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhen. Also ggf auch schon bei Fahrlässigkeit.
Tastenspitz
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 24511
Registriert: 05.07.07, 08:27
Wohnort: Daheim

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von Tastenspitz »

BGB §1.
Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.
Als Gebärende ist man nmE. nicht verpflichtet, irgendwelche Hilfe anzunehmen. Es ist zwar gefühlt nicht die richtige Entscheidung. Weder für die Mutter noch für das Kind aber eine Pflicht sehe ich nicht.
Wer für generelle Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen ist, hebe bitte den rechten Fuß.
Für individuelle Rechtsberatung bitte "ALT" und "F4" auf der Tastatur gleichzeitig drücken.
Evariste
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 5718
Registriert: 31.12.15, 17:20

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von Evariste »

Tastenspitz hat geschrieben: 16.11.23, 08:38 BGB §1.
Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.
Das sieht das StGB in § 218 anders. Aber auch zivilrechtlich denke ich, dass es für eine Haftung nicht darauf ankommt, ob die unerlaubte Handlung (im Sinne von § 823 BGB) bereits vor der Geburt stattfand.
Tastenspitz
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 24511
Registriert: 05.07.07, 08:27
Wohnort: Daheim

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von Tastenspitz »

Der §218 bestraft die Mutter ggf. nebst Komplizen oder sonstigen Dritten. Nicht das ungeborene Kind. Es kriegt auch kein Schadenersatz oder Schmerzensgeld. Warum? Weil....... siehe BGB §1
Auch der §832 greift nmE. erst nach der Geburt.
Zivilrechtliche Ansprüche dürften sich auch gegen die Mutter oder irgendwelche Dritte wenden und nicht gegen das Kind.
Wer für generelle Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen ist, hebe bitte den rechten Fuß.
Für individuelle Rechtsberatung bitte "ALT" und "F4" auf der Tastatur gleichzeitig drücken.
FM
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 24156
Registriert: 05.12.04, 16:06

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von FM »

Dass eine straf- oder zivilrechtliche Verantwortung des ungeborenen oder gerade erst geborenen Kindes nicht in Betracht kommt, ist doch ohnehin selbstverständlich.

Bei der Mutter ist die Frage wegen Art. 6 Abs. 2 GG durchaus komplizierter. Und auch beim Vater, falls er vom dem Vorgang weiß.
Evariste
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 5718
Registriert: 31.12.15, 17:20

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von Evariste »

Tastenspitz hat geschrieben: 16.11.23, 14:26 Der §218 bestraft die Mutter ggf. nebst Komplizen oder sonstigen Dritten. Nicht das ungeborene Kind.
:?:

Was ich meinte: Auch das ungeborene Kind ist nach unserem Recht bereits ein Subjekt mit gewissen eigenen Rechten, die u. a. eben von § 218 geschützt werden. (Dazu gibt es übrigens auch ein Urteil des Bundesverfassungsgericht, was genau das festgestellt hat.)

Und zivilrechtlich gehe ich davon aus, dass z. B. ein Arzt auch für vorgeburtliche Fahrlässigkeit, die zu einer Schädigung des später geborenen Kindes führen, vollumfänglich haftet, obwohl - nach Ihrer Auffassung - das Kind zu dem Zeitpunkt noch gar keine Rechte hatte, die im Sinne von § 823 BGB "widerrechtlich verletzt" werden könnten. Richtig ist natürlich, dass der Arzt gegenüber dem Kind nur haftet, wenn es tatsächlich geboren wird und nicht vorher stirbt.
Tastenspitz
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 24511
Registriert: 05.07.07, 08:27
Wohnort: Daheim

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von Tastenspitz »

Was ich meine, ist, dass der §218 eben nicht das Recht des Ungeborenen schützt, sondern die bestraft, welche hier gesetzeswidrig gegen diese Schwangerschaft handeln. Strafrecht eben. Geschützt wird hier keiner.
Evariste hat geschrieben: 17.11.23, 11:02 dass z. B. ein Arzt auch für vorgeburtliche Fahrlässigkeit, die zu einer Schädigung des später geborenen Kindes führen, vollumfänglich haftet
Diese Haftung besteht zweifelsohne gegenüber dem Kind. Zivilrechtlich sind hier auch noch andere Optionen möglich. Aber eben erst, wenn das Kind rechtsfähig ist. Und dann sind wir wieder beim §1.
Rechte vor der Geburt gibt es übrigens durchaus. Beispielsweise aus dem BGB §1923 Abs. 2. Das Kind muss also hier nur gebohrt sein und noch nicht zwingend geboren. :devil:
Aber wir driften immer weiter aus dem Thema.
Wer für generelle Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen ist, hebe bitte den rechten Fuß.
Für individuelle Rechtsberatung bitte "ALT" und "F4" auf der Tastatur gleichzeitig drücken.
FM
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 24156
Registriert: 05.12.04, 16:06

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von FM »

Aber wir driften immer weiter aus dem Thema.
Da es nicht um eine Rechtsberatung zum Ausgangsfall geht, schadet das auch nichts.

Mit Urt. v. 05.02.1992, Az.: BVerwG 7 B 13.92 hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden: das klagende ungeborene Kind kann nicht Beteiligter sein in einem atomrechtlichen Verfahren, da es nicht rechtsfähig ist. Der ungeborene Kläger wurde aber dazu verurteilt, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Und mit "der Kläger" (ich kenne ihn persönlich) war das ungeborene Kind verurteilt. Nachdem er geboren war, wies seine Mutter (Rechtsanwältin) das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass er weder Einkommen noch nennenswertes Vermögen hat, nur einige Strampelhosen, Windeln und dergleichen.
Oktavia
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 7162
Registriert: 15.02.08, 02:19

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von Oktavia »

Da es in diesem Land immer weniger Geburtskliniken gibt sollten sich Frauen allgemein besser auf Alleingeburten vorbereiten :engel: Viele Frauen finden doch überhaut keine Hebamme mehr und Rettungssanitäter sollten besser in Geburtshilfe geschult werden. In vielen Geburtsurkunden wird zukünftig als Geburtsort stehen: Autobahn 7 zwischen Bispingen und Walsrode, Gemarkung unbekannt.... :devil:
"Alte Leute sind gefährlich; sie haben keine Angst vor der Zukunft."
George Bernard Shaw

#WIRSINDMEHR
Roni
FDR-Mitglied
FDR-Mitglied
Beiträge: 12607
Registriert: 21.01.05, 19:42

Re: Alleingeburt - wer trägt das Risiko?

Beitrag von Roni »

Oktavia hat geschrieben: 18.11.23, 11:22 Da es in diesem Land immer weniger Geburtskliniken gibt sollten sich Frauen allgemein besser auf Alleingeburten vorbereiten :engel: Viele Frauen finden doch überhaut keine Hebamme mehr und Rettungssanitäter sollten besser in Geburtshilfe geschult werden. In vielen Geburtsurkunden wird zukünftig als Geburtsort stehen: Autobahn 7 zwischen Bispingen und Walsrode, Gemarkung unbekannt.... :devil:
Bleibt abzuwarten wie sich das auswirkt wenn es zu Komplikationen kommt.
Antworten