windalf hat geschrieben:Solidarität sollte nur der bekommen, der die verdient hat.
Wie "verdient" man sich denn Solidarität?
windalf hat geschrieben:Von Armut selbst ist man als Hartz IV Empfänger weit entfernt
Nur mal so als Vergleich: Jedes 7. Kind lebt von Hartz IV, jedes 5. Kind ist armutsgefährdet.
windalf hat geschrieben:Erhebliche materielle Entbehrung? Das ich nicht lache. Schon mal in ein Hartz IV Haushalt geguckt? Für Fernseher und PS4 ist da immer Platz. Die Zeit materialler Entbehrung gibt es nicht mehr.
Materielle Entbehrung (Deprivation) wird anhand von definierten Entbehrungen gemessen (Probleme Miete zu bezahlen oder angemessen heizen zu können, Fehlen eines Farbfernsehgeräts, eines Telefons oder einer Waschmaschine im Haushalt etc.). „Materiell depriviert“ (3 von 9 Entbehrungen) sind immerhin 11 % der Bevölkerung, bei „erheblich materiell depriviert“ (4 von 9 Entbehrungen) sinkt die Quote auf 4,7 %.
windalf hat geschrieben:Ich diskutiere gern über Zahlen Daten Fakten. Dann mal her damit
Aber gerne doch:
Gem. dem 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (Daten aus 2015) sind 15,5 % der Bevölkerung armutsgefährdet (Parität. Wohlfahrtsverband 15,7 %) und verdienten weniger als 60 % des Medianäquivalenzeinkommens der Bevölkerung. (Die Armutsgefährdungsschwelle für Alleinstehende lag bei 942 Euro, bei Alleinerziehenden mit einem Kind unter 6 Jahren bei 1.192 Euro, für ein Paar mit 2 Kindern unter 14 Jahren bei 1.978 Euro.)
Die Höhe der Armutsgefährdungsschwelle und – quoten hängt von einer Reihe methodischer Entscheidungen ab. Welche Datenquelle genutzt wird (Mikrozensus , SOEP oder EU-SILC ), welche Skala zur Berechnung des Äquivalenzeinkommens (alte oder neue OECD-Skala), welcher Mittelwert (Median) gewählt wird usw. Das eröffnet einen gewissen politischen Spielraum. Der Erste Armutsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2001 wies noch Armutsgefährdungsquoten aus, die sich einmal aus dem arithmetischen Mittel und einmal aus dem Median ergaben. Die erstere lag mit 10,5 % deutlich höher als die mit dem Median berechnete in Höhe von 6,2 %, seitdem wird nur noch der Median ausgewiesen.
Besonders von Armut betroffen sind Erwerbslose, Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund und Familien mit 3 oder mehr Kindern. Die Gründung einer Familie gehört laut Sozialforschern zu den größten Armutsrisiken. Obwohl die Erwerbstätigenquote bei Alleinerziehenden zunimmt steigt das Armutsrisiko. Dazu trägt nicht nur Teilzeitarbeit bei sondern auch der Niedriglohnsektor und frauentypische Berufe, die seit jeher schlecht bezahlt werden. Frauen zahlen den Preis für ein funktionierendes Familienleben.
Auch die Armut unter Rentnern steigt, der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands hält die Armutsentwicklung der Rentner/innen gar für „alarmierend“. Die Armutsquote stieg innerhalb von 10 Jahren von 10,7 % auf 15,9 %, das ist ein Zuwachs von 49%. Die Zahl der Rentner/innen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, hat sich seit 2003 mehr als verdoppelt. Die Rentenerhöhungen sind seit 2003 4,4 % hinter der Lohnentwicklung zurückgeblieben, bis 2029 werden es weitere 8 Prozentpunkte sein. Für einen Durchschnittsverdiener mit 45 Beitragsjahren entspräche das einem Wertverlust von 2.939 Euro/Jahr. Auf Grundlage aktueller Schätzungen der Bundesregierung zur Beitragsentwicklung bedeutet das, dass im Jahr 2045 selbst für jemanden,der immer Beiträge in Höhe des Durchschnittseinkommens gezahlt hat, 32,8 Jahre Beitragszahlungen vorliegen müssen um wenigstens eine Rente auf Grundsicherungsniveau zu bekommen. Wer nur die Hälfte davon einzahlen konnte, müsste dafür 65,6 Jahre gearbeitet haben.
Das Volkseinkommen (alle Erwerbs- und Vermögenseinkommen zusammen) ist deutlich gestiegen. 2015 lag es 10,2 % über dem Niveau von 2012, noch deutlicher war der Anstieg im Zeitraum 2000-2005. Dabei entfiel der größte Teil des Anstiegs auf Unternehmens- und Vermögenseinkommen (Anstieg um 30,9 %), während die Löhne zurückblieben (2,4 %). 2007 war die bereinigte Lohnquote sogar auf historischen Tiefstand. Im Zeitraum 2004-2008 gingen die Netto-Reallöhne zurück, Folge des Lohndumpings mit Ausbreitung des Niedriglohnsektors. Während die Reallöhne zurückblieben stiegen die Einkommen von Geschäftsführern im Zeitraum 1997 – 2014 um 42%, die Einkommen der Vorstände um 59 % und die der DAX-Vorstände um 186 %. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum stiegen die Einkommen der Durchschnittsverdiener um 15 %.
Für das Entstehen von Reichtum bzw. hohem Vermögen sind vor allem 2 Gründe ausschlaggebend: Erbschaft und Unternehmertum. Während man jedoch bei Hartz IV-Empfängern über jeden Cent Bescheid weiß, werden die Einkommen der vermögensten Haushalte (obere 10 %) nur geschätzt. Je höher das Vermögen umso höher der Unsicherheitsfaktor. Geschätzt wird auch die Anzahl der Obdachlosen mit steigender Tendenz, die Zahl stieg von 2012 bis 2014 um rund 50 %. Besonders betroffen sind Jugendliche, etwa ein Fünftel der Obdachlosen ist noch minderjährig.
Zum Thema Neiddebatte: Möglicherweise hältst Du es für eine herausragende Errungenschaft, dass hier niemand verhungert. Für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft ist es jedoch elementar wichtig, dass die Lebensbedingungen der Menschen nicht zu weit auseinanderklaffen. Das Versprechen der Leistungsgesellschaft ist längst kalter Kaffee, die Verlierer sind wir alle. Während Reallöhne stagnieren und sich Manager und Großaktionäre jedes Jahr steigende Millionenbeträge genehmigen, werden immer mehr Menschen abgehängt und verlieren den Glauben an die Demokratie. Genau das bereitet doch den Boden für Rechtspopulisten.