sexualisierte Beleidigung ?

politische Aspekte von Rechtsprechung und Gesetzesvorhaben; rechtliche Aspekte von politischem Agieren

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Tangom
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sexualisierte Beleidigung ?

Beitrag von Tangom »

Sehr geehrte Damen und Herren,

gestern berichtete https://www.tagesschau.de/inland/innenp ... g-100.html :

" Die SPD-Fraktion schlägt einen neuen Straftatbestand vor, der gezielte, offensichtlich unerwünscht, verbale und nicht-körperliche sexuelle Belästigungen umfasst. Dies geht aus einem Entwurf für ein Positionspapier hervor, über den die Fraktion am Dienstag entscheiden möchte. Der Entwurf liegt der dpa in Berlin vor.

Die Partei argumentiert, dass es zwar bereits Straftatbestände im Strafgesetzbuch und im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gibt, diese jedoch in den meisten Fällen nicht auf verbale und nicht-körperliche sexuelle Belästigungen zutreffen."

Und weiter: " Auch gegen obszöne und einschüchternde sexuelle Belästigungen gebe es in der Regel keine Handhabe. "

Meines Wissens gibt es aber bereits den Tatbestand der "sexualisierten Beleidigung".

In welchen Fällen greift dieser?
Evariste
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Re: sexualisierte Beleidigung ?

Beitrag von Evariste »

Tangom hat geschrieben: 22.06.23, 09:15 Meines Wissens gibt es aber bereits den Tatbestand der "sexualisierten Beleidigung".
Nein, gibt es nicht, es gibt nur die Beleidigung (§ 185 StGB). Dieser Begriff umfasst natürlich auch Beleidigungen mit sexuellem Inhalt, trifft aber nicht auf alle Fälle verbaler sexueller Belästigung zu. Insbesondere das sog. Catcalling (Pfeifen, "Schöne Frau, wir wär es mit uns?" etc. zu Frauen auf der Straße) ist nicht erfasst, weil es von den Männern in der Regel als "Kompliment" gemeint ist:
Das deutsche Strafgesetzbuch sieht Strafen für Beleidigung vor: ein Bußgeld oder in besonderen Fällen eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. In einigen Fällen gilt dieser Gesetzesartikel auch bei verbaler sexueller Belästigung auf der Straße. "Das ist der Fall, wenn die Äußerung ausdrücklich herabsetzend ist", sagt Anja Schmidt von der Universität Halle-Wittenberg - beispielsweise, wenn eine Frau oder eine transsexuelle Person zum Sexualobjekt herabgewürdigt wird.

Aber Sprüche wie "Du hast eine schöne Figur!" fallen nicht unter diesen Artikel. Sie können nicht als sexuelle Belästigung eingestuft werden, da nach jetziger Definition nur bei physischem Kontakt eine Straftat vorliegt. Die Lage wäre klarer, wenn Catcalling als separate Straftat betrachtet würde, meint die Juristin, zu deren Forschungsschwerpunkt auch das Sexualstrafrecht gehört.

Die Aktivistin Antonia Quell schlägt vor, Catcalling-Fälle mit Bußgeldern zu bestrafen, wie in Frankreich, wo diese Art der verbalen Belästigung schon seit 2018 strafbar ist und mit Geldstrafen von bis zu 750 Euro geahndet wird. Auch in Portugal, Belgien und in den Niederlanden ist Catcalling illegal.
(Quelle : Deutsche Welle)
Tangom
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Re: sexualisierte Beleidigung ?

Beitrag von Tangom »

Inwieweit gilt das auch gegenüber Jugendlichen oder Kindern?
Evariste
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Re: sexualisierte Beleidigung ?

Beitrag von Evariste »

Tangom hat geschrieben: 22.06.23, 11:42 Inwieweit gilt das auch gegenüber Jugendlichen oder Kindern?
Meinen Sie die Beleidigung oder den neuen Straftatbestand?
Dipl.-Sozialarbeiter
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Re: sexualisierte Beleidigung ?

Beitrag von Dipl.-Sozialarbeiter »

Worum es der SPD-Bundestagsfraktion genau geht, schreibt die SZ.
Süddeutsche Zeitung (20.06.2023) hat geschrieben:Erhebliche verbale sexuelle Belästigung soll nach dem Willen der SPD-Bundestagsfraktion strafbar werden. "Obwohl jede einfache Beleidigung strafbar ist, sind selbst anstößige und einschüchternde verbale sexuelle Belästigungen im Regelfall straflos", erklärte die rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, Sonja Eichwede. Sie verwies auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (2 StR 415/17), der die Aufforderung eines 65-jährigen Mannes an ein elfjähriges Mädchen, ihm zu folgen, da er "an ihre Muschi fassen wolle", als nicht strafbar wertete. "Hier besteht Handlungsbedarf", betonte Eichwede.
Ich sehe auch einen Handlungsbedarf.
Evariste
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Re: sexualisierte Beleidigung ?

Beitrag von Evariste »

Dipl.-Sozialarbeiter hat geschrieben: 22.06.23, 12:50
Sie verwies auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (2 StR 415/17), der die Aufforderung eines 65-jährigen Mannes an ein elfjähriges Mädchen, ihm zu folgen, da er "an ihre Muschi fassen wolle", als nicht strafbar wertete. "Hier besteht Handlungsbedarf", betonte Eichwede.
Ich sehe auch einen Handlungsbedarf.
Die Darstellung von Frau Eichwede ist ein bisschen manipulativ. Wenn ein ahnungsloser Leser das liest, dann denkt man, da hat jemand was Schlimmes gemacht hat und wird nun nicht dafür bestraft, weil es kein passendes Gesetz gibt.

Zum einen wurde der Täter sowieso wegen anderer sexuell motivierter Delikte zu (wenn ich das richtig lese) 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt und das wurde vom BGH auch gutgeheißen. Der "Freispruch" reduziert die Gesamtstrafe um 9 Monate.

Zum anderen verschweigt Frau Eichwede, dass es zum Schutz von Kindern bereits einen Straftatbestand gibt, der keinerlei körperliche Einwirkung erfordert. Nur dass der BGH diesen hier nicht für passend hielt.
Gemessen hieran erfüllt die einmalige Äußerung des Angeklagten gegenüber dem 11-jährigen Mädchen, "an ihre Muschi fassen" zu wollen, nicht den Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 4 Var. 4 StGB. Zwar war die Äußerung gegenüber dem unbekannten Kind sexuell motiviert. Jedoch lag darin keine verbale Einwirkung, die nach Art und Intensität der Demonstration pornographischen Materials vergleichbar gewesen wäre. Der Angeklagte beschränkte sich auf eine kurze, einmalige Äußerung. Die dabei für das weibliche Geschlechtsorgan gewählte Bezeichnung "Muschi" (vgl. zur Wortbedeutung Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 6, 3. Aufl., S. 2660: salopp für Vulva u.a.) entspricht einer Benennung, die unter Kindern und auch gegenüber Kindern weithin gebräuchlich ist, ohne per se als anstößig oder vulgär empfunden zu werden.
Das Gleiche wird möglicherweise auch mit dem neu angedachten Paragrafen geschehen, der m. W. nur "erhebliche" nichtverbale sexuelle Belästigungen unter Strafe stellt.

§ 176a BGB (aktuelle Fassung):
(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3. auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.
...
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar.
FM
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Re: sexualisierte Beleidigung ?

Beitrag von FM »

Evariste hat geschrieben: 22.06.23, 09:55 Zitat
"Aber Sprüche wie "Du hast eine schöne Figur!" fallen nicht unter diesen Artikel. Sie können nicht als sexuelle Belästigung eingestuft werden, da nach jetziger Definition nur bei physischem Kontakt eine Straftat vorliegt. Die Lage wäre klarer, wenn Catcalling als separate Straftat betrachtet würde, meint die Juristin, zu deren Forschungsschwerpunkt auch das Sexualstrafrecht gehört."
Na das wird schwierig. Darf der Arbeitnehmer dann noch seiner Kollegin sagen "das neue Kleid steht dir aber gut"? Könnte ja sein, dass es ihm gefällt, weil es "mehr Haut" zeigt. Oder eben, weil ihm die Farbe gefällt. Aber das machen auch Männer (und Frauen) untereinander oft so, ohne weitergehende Absicht.
Evariste
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Re: sexualisierte Beleidigung ?

Beitrag von Evariste »

FM hat geschrieben: 22.06.23, 20:28 Na das wird schwierig. Darf der Arbeitnehmer dann noch seiner Kollegin sagen "das neue Kleid steht dir aber gut"? Könnte ja sein, dass es ihm gefällt, weil es "mehr Haut" zeigt. Oder eben, weil ihm die Farbe gefällt. Aber das machen auch Männer (und Frauen) untereinander oft so, ohne weitergehende Absicht.
Das ist wieder mal so ein "Non sequitur"...

Schlag nach bei Wikipedia:
Catcalling (deutsch etwa „Katzen-Rufen“) bezeichnet sexuell anzügliches Rufen, Reden, Pfeifen oder sonstige Laute im öffentlichen Raum, wie das Hinterherrufen sowie Nachpfeifen für gewöhnlich durch Männer gegenüber Frauen. Dies stellt eine Form der verbalen sexuellen Belästigung dar. Der Begriff stammt aus der englischen Umgangssprache.
...
Dabei geht es meist um den Körper der Frau als Ganzes oder um ein bestimmtes Merkmal.
Also gleich 3 Unterschiede: "Das neue Kleid steht dir aber gut" zwischen Kollegen ist (normalerweise) nicht sexuell anzüglich, es bezieht sich nicht auf irgendwelche Körpermerkmale, und es geschieht nicht im öffentlichen Raum.

Übrigens ist echte verbale sexuelle Belästigung in jeglicher Form am Arbeitsplatz bereits heute zwar nicht strafbar, kann aber zu einer Abmahnung bzw. einer fristlosen Kündigung führen. Wenn anderseits der Arbeitgeber nichts unternimmt, um derartige sexuelle Belästigungen zu unterbinden, kann eine betroffene Arbeitnehmerin der Arbeit fernbleiben, wenn sonst nichts hilft (§ 14 AGG).
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