Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

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Sara A.
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Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von Sara A. »

Hallo, ich hätte da mal eine Frage und würde mich freuen eine Antwort bzw. eure Meinungen dazu zu hören :) .
Folgendes: Hätte ich die Möglichkeit durch meinen Einfluss auf die Situation einen schlafenden Mann zu retten oder mehrere spielende Kinder und ich müsste mich entscheiden. Beide bemerken nichts von der nahenden Gefahr
Aber ich kann nur einer der beiden retten :? .
Der Mann bzw. die Kinder, würden dann schwer verletzt werden oder eben sterben. Wäre es hier strafbar sich für den Mann zu entscheiden? Und wenn ja woran würde man sich strafbar machen?
Wie ist die Rechtslage
Roni
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von Roni »

das kann man so nicht sagen, kommt doch auf die Situatuion an.
Peace
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von Peace »

grundlegend Nein, warum auch. Man muss sich nunmal entscheiden.
Sara A.
Topicstarter
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von Sara A. »

Sagen wir die Kinder spielen auf einem Gleis und auf dem Nebengleis schläft ein Schienenarbeiter und ich kann die Weiche entweder so stellen dass es die eine Partie oder die andere trifft und ich entscheide für den Mann. Ich meine der Mann ist ja erwachsen und hätte sich da nicht unbedingt schlafen legen sollen, aber die Kinder sind doch schuldlos bei der Angelegenheit.
nordlicht02
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von nordlicht02 »

Ganz schlechtes Beispiel :wink: :
Da von Hand gestellte Weichen eigentlich, wenn überhaupt, nur noch dort zu finden sind, wo Züge ohnehin nicht schnell fahren, kann man den Zug leicht mit dem von Hand zu gebenden Kreissignal (Sh 3) zum Stehen bringen. Man nehme irgendeinen Gegenstand in die Hand und mache damit, dem Zug entgegenlaufend, eine kreisförmige Bewegung gegen den Uhrzeigersinn.

Man könnte auch den Kindern zurufen, dass sie sich sofort vom Acker, äähhhh...vom Gleis machen sollen und zeitgleich den schlafenden Mann aus dem Gleisbett (bekommt hier eine völlig neue Bedeutung) ziehen.
„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“ (Hanns Joachim Friedrichs)
SusanneBerlin
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von SusanneBerlin »

Ein Schienenarbeiter würde sowieso niemals auf die Idee kommen, sich ausgerechnet ein Gleis als Platz für sein Nickerchen auszusuchen.

Aber jetzt abgesehen vom konstruierten Beispiel. Menschenleben ist Menschenleben. Derjenige mag zwar für sich abwägen, wen er retten soll, aber (straf-)rechtlich wird da nicht unterschieden. Der Retter kann, rechtlich gesehen, nicht "falsch" entscheiden. Es kann ihm nicht nachteilig ausgelegt werden, egal wie er entscheidet.

Grüße, Susanne
Grüße, Susanne
karli
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von karli »

Wobei ich mir schon überlege, aufgrund welcher Rechtslage man hier helfen müsste?
Wenn du kritisiert wirst, dann mußt du irgend etwas richtig machen, denn man greift nur denjenigen an, der den Ball hat. (Bruce Lee)
Achtung: Meine Beiträge können Meinungsäusserungen, Denkanstösse, sowie Spuren von Ironie und Sarkasmus enthalten.
moro
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von moro »

Der "Weichenfall" ist - in zahlreichen Varianten - ein Klassiker der rechtsphilosophischen und -ethischen Diskussion.

Siehe z.B. auch hier:

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-49929836.html

Wenn es in dem Artikel aus dem Jahr 2006 aber heißt, "jetzt" sei eine Debatte entbrannt, greift das viel zu kurz.

Hier (auch mit juristischer Bewertung):

https://de.wikipedia.org/wiki/Trolley-Problem

wird die Diskussion des Dilemmas auf eine Schrift aus dem Jahre 1978 zurückgeführt. Aber es findet sich auch schon 1951 in einer Schrift des deutschen Strafrechtlers Hans Welzel (ZStW Bd. 63, S.51). Und wenn man sucht, findet man wahrscheinlich noch ältere Quellen.

In der Populärliteratur spielen solche Abwägungen z.B. in Isaac Asimovs Robotererzähungen eine Rolle, zuletzt in "Robots and Empire".

Verwandte Gedankenexperimente gab es schon in der Antike, z.B. das "Brett des Karneades":

https://de.wikipedia.org/wiki/Brett_des_Karneades

Gruß,
moro
Zuletzt geändert von moro am 29.08.14, 19:15, insgesamt 1-mal geändert.
Pünktchen
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von Pünktchen »

Sara A. hat geschrieben:Sagen wir die Kinder spielen auf einem Gleis und auf dem Nebengleis schläft ein Schienenarbeiter und ich kann die Weiche entweder so stellen dass es die eine Partie oder die andere trifft und ich entscheide für den Mann.
Ich lese hier immer nur etwas von retten, aber nichts von abmurxen. Wenn man die Weichen stellt, dass ein der Mann oder die Kinder überlebt, heißt das, man hat aktiv die andere Person(engruppe) umgebracht. Man kann immer noch gar nichts machen - Der Zug kann nicht auf zwei Gleichen gleichzeitig fahren.

Meines Wissens ist es auch verboten, eine Person umzubringen, um fünf zu retten. Die gleiche Diskussion gab es ja schon beim Abschuss auf entführte Passagierflugzeuge. Diese darf man auch nicht abschießen. Auch dann nicht, wenn die Passagiere sowieso dabei umkommen und man ihnen damit viele Qualen ersparen und vielen anderen das Leben retten würde.
Sara A. hat geschrieben: Ich meine der Mann ist ja erwachsen und hätte sich da nicht unbedingt schlafen legen sollen, aber die Kinder sind doch schuldlos bei der Angelegenheit.
Und wenn der Mann schuldlos auf den Schienen eingeschlafen ist und die Kinder alt genug waren, um zu wissen, dass man dabei überfahren werden kann. Ein Kind muss ggf. auch dafür haften. Und die Todesstrafe fürs einschlafen zu vollstrecken ist auch ganz schön hart.
Dipl.-Sozialarbeiter
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von Dipl.-Sozialarbeiter »

moro hat geschrieben:Der "Weichenfall" ist - in zahlreichen Varianten - ein Klassiker der rechtsphilophischen und -ethischen Diskussion.
...
... und auch die Diskussion "Leben gegen Leben" wurde hier vor ca. 2 Jahren diskutiert.


Bemerkenswert finde ich hier die Ansicht des BVerfG:
BVerfG, 1 BvR 357/05 vom 15.2.2006, Absatz-Nr. (38) hat geschrieben:Der Staat dürfe eine Mehrheit seiner Bürger nicht dadurch schützen, dass er eine Minderheit - hier die Besatzung und die Passagiere eines Flugzeugs - vorsätzlich töte. Eine Abwägung Leben gegen Leben nach dem Maßstab, wie viele Menschen möglicherweise auf der einen und wie viele auf der anderen Seite betroffen seien, sei unzulässig. Der Staat dürfe Menschen nicht deswegen töten, weil es weniger seien, als er durch ihre Tötung zu retten hoffe.
Dies als Hintergrund würde ich auf die Ausgangsfrage bezogen meinen, dass wie sich der mögliche Retter entscheidet, er straffrei bleibt.
istdasso?
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von istdasso? »

In der Weichen-Situation sollte er wohl die Finger davon lassen. Sonst bringt er die eine Partei um und rettet die Andere - was aber nicht aufgerechnet werden kann...
:arrow: Klar, man kann sich jetzt so anstellen als verstünde man nicht, was ich ausdrücken will - aber mehr Mühe gebe ich mir nicht mehr. Dafür ist der Anteil vorsätzlicher professioneller "Nichtversteher" hier zu hoch....
questionable content
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von questionable content »

Kurzfassung:

Art. 1 i.V.m 2 I 1 GG (o.ä.) ist nach h.M. die Wertung zu entnehmen, dass Leben nicht gegen Leben aufgerechnet werden kann.

Das gilt insbesondere im Hinblick auf Anzahl von Leben, Lebensalter etc. bei Wahlentscheidungen des Staates. Dahinter steht eine sehr weitgehende Thematik, die - wie schon zutreffend erwähnt - aus verschiedensten Perspektiven und natürlich auch nicht nur in Deutschland diskutiert wird. Aber die gegenwärtige strafrechtliche Rechtslage in der deutschen Strafrechtspraxis ist ziemlich klar und unter Praktikern recht unumstritten.

Strafrecht ist insoweit öffentliches Recht - der Staat "straft", indem er in die Grundrechte der Bürger eingreift. Ergo kann der betroffene "Täter" (unter strafrechtlichen Gesichtspunkten) sich grundsätzlich entscheiden wie er will. Oft genug widerspricht das in Extremfällen "gutbürgerlichem Bauchgefühl" und genau deshalb tauchen solche Fälle immer wieder einmal in der Ausbildung und der Presse aus. Es kann bei solchen Wahlentscheidungen dann z.B. durchaus schon einmal passieren, dass rein strafrechtlich gesehen eine komplette Kindergartengruppe samt begleitender Nonne und 5 kleinen Kätzen plattgefahren werden darf um eine 100-jährige "Scheintote" mit nur noch ein paar Tagen Lebenserwartung zu retten.

Interessant ist ggf. die Kollision mit öffentlich-rechtlichen Erwägungen, insbesondere falls Amtsträger die betreffende Entscheidung treffen müssen. Hier kann es dazu kommen, dass tatsächlich bestimmte Personen/Handlungsalternativen vorzuziehen sind. Das hat als Rechtsfolge dann allerdings nicht die Folge, dass der Betreffende die Straftatbestände dann doch verwirklicht. Vielmehr kann es gut sein, dass strafrechtlich weiter Wahlfreiheit besteht und sich ggf. denkbare Sanktionen dann allenfalls aus den jeweils verletzten sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben.

Die bekannteste Problematik zu diesem Thema aus der deutschen Rechtspraxis der letzten Jahre, war die Frage, ob man vor dem Hintergrund der 9/11 -Attentate Flugzeuge (= Passagiere und Crew an Bord) abschießen darf, um das Attentat und damit potentiell viel größere Verluste und viel schlimmere politische Folgeschäden zu verhindern. Falls ich es richtig in Erinnerung habe, war die h.M. wohl ganz grob, dass der Staat die Dinger normalerweise nicht abschießen darf. Privatpersonen dürften es evtl. theoretisch aus rein strafrechtlicher Sicht unter den oben genannten Gesichtspunkten - nur haben die üblicherweise nicht die dafür nötige Ausrüstung und würden sich auch strafbar machen, wenn sie sich diese beschaffen :-).
Few people are capable of expressing with equanimity opinions which differ from the prejudices of their social environment. Most people are even incapable of forming such opinions.
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von Pünktchen »

questionable content hat geschrieben: Strafrecht ist insoweit öffentliches Recht - der Staat "straft", indem er in die Grundrechte der Bürger eingreift. Ergo kann der betroffene "Täter" (unter strafrechtlichen Gesichtspunkten) sich grundsätzlich entscheiden wie er will.
Ach echt? Und woraus soll sich das ergeben?

Für eine Notwehr fehlt es an einem rechtswidrigen Angriff. Ein rechtfertigender Notstand würde voraussetzen, dass die Folgen des Eingreifens sind, besser sind als die, wenn man nicht eingreift. Bei einem Entschuldigen Notstand wäre der Eingriff nicht erlaubt und müsste man selbst oder eine angehörigen oder nahestehende Person betroffen sein, um ohne Schuld zu handeln.
questionable content
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von questionable content »

Pünktchen hat geschrieben:
questionable content hat geschrieben: Strafrecht ist insoweit öffentliches Recht - der Staat "straft", indem er in die Grundrechte der Bürger eingreift. Ergo kann der betroffene "Täter" (unter strafrechtlichen Gesichtspunkten) sich grundsätzlich entscheiden wie er will.
Ach echt? Und woraus soll sich das ergeben?

Für eine Notwehr fehlt es an einem rechtswidrigen Angriff. Ein rechtfertigender Notstand würde voraussetzen, dass die Folgen des Eingreifens sind, besser sind als die, wenn man nicht eingreift. Bei einem Entschuldigen Notstand wäre der Eingriff nicht erlaubt und müsste man selbst oder eine angehörigen oder nahestehende Person betroffen sein, um ohne Schuld zu handeln.
questionable content hat geschrieben: Falls ich es richtig in Erinnerung habe, war die h.M. wohl ganz grob, dass der Staat die Dinger normalerweise nicht abschießen darf.
Meines Wissens ging es aber nicht darum, ob es nach aktueller Rechtslage zulässig wäre, sondern ob ein (nicht vorhandenes) Gesetz verfassungskonform wäre.
Meiner Resterinnerung nach diskutiert solche Details auch die strafrechtliche Literatur seit Jahrzehnten mit Inbrunst = wie und woraus sich das ganz genau ergibt und welche Rechtsnatur die jeweiligen Konstrukte haben.

Aber selbst wenn sich im gesamten Strafrecht keine Rechtsgrundlage finden würde, wäre das auch recht egal. Strafrecht ist klassisches Eingriffshandeln des Staates - also gelten die Grundrechte unmittelbar. Was bedeutet: Wenn nach Grundgesetz vom Bürger keinesfalls verlangt werden darf, dass er "Leben gegen Leben" abwägt, dann darf der Staat deswegen auch nicht strafen, wenn der Bürger nicht mehr getan hat, als genau dies (= das grundgesetzlich eindeutig erlaubte) zu tun.

Wenn ein Straftatbestand aus dem StGB mit einem Freiheitsrecht des GG kollidiert gilt noch immer: "Der Obere sticht den Unteren".
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Pünktchen
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Re: Spielende Kinder oder schlafenden Mann retten

Beitrag von Pünktchen »

questionable content hat geschrieben: Aber selbst wenn sich im gesamten Strafrecht keine Rechtsgrundlage finden würde, wäre das auch recht egal. Strafrecht ist klassisches Eingriffshandeln des Staates - also gelten die Grundrechte unmittelbar. Was bedeutet: Wenn nach Grundgesetz vom Bürger keinesfalls verlangt werden darf, dass er "Leben gegen Leben" abwägt, dann darf der Staat deswegen auch nicht strafen, wenn der Bürger nicht mehr getan hat, als genau dies (= das grundgesetzlich eindeutig erlaubte) zu tun.
:shock:

Hey, auch wenn das auf einen rechtfertigenden Notstand übertragen könnte und §34 StGB gegen das Grundgesetz verstoßen würde, würde das nicht bedeuten, dass in so einem Fall ein Mord überhaupt zulässig wäre. - Folgt man dieser Argumentation würde das bedeuten, dass man in keinem Fall einen Menschen umbringen darf, auch nicht, wenn man viel mehr Menschen damit retten würde.

Bei dem Urteil über den Abschuss von Flugzeugen ging es ja auch nicht darum, dass es nur verfassungskonform wäre, ein Flugzeug abzuschießen, wenn man keine Verhältnismäßigkeit prüft.

Welcher Artikel im Grundgesetz soll so einen Mord rechtfertigen.

Auch, wenn man viele umbringt um einen zu retten, wägt man eben "Leben gegen Leben" ab.
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