Urteil vom BVerwG zu Sterbehilfe

Patientenrechte, Arzthaftungsrecht, ärztliches Vergütungsrecht, Betäubungsmittelrecht, Apothekenrecht, Medikamentenversandrecht, Internet-Apotheke

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mw92
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Urteil vom BVerwG zu Sterbehilfe

Beitrag von mw92 »

Im März wurde ja vom Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Menschen mit unheilbaren Krankheiten beim BfArM einen Antrag auf Natrium-Pentobarbital stellen dürfen. Seitdem habe ich mich schon zweimal an das BfArM gewendet, aber jedes Mal hieß es "man müsste erst die Urteilsgründe prüfen". Ich verstehe das einfach nicht. Seit dem Urteil ist bald ein halbes Jahr vergangen, so langsam müssten die doch mal die ganzen Anträge der kranken Menschen bearbeiten, oder etwa nicht?

Bisher bin ich davon ausgegangen, dass das Bundesverwaltungsgericht das letzte zuständige Gericht in einem Fall ist und sozusagen an der "Spitze" steht. Jetzt frage ich mich nur, warum es dann möglich ist, dass Gesundheitsminister Gröhe sich seit Monaten weigern kann, dieses Urteil umzusetzen? Haben er bzw. das BfArM trotz der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts überhaupt das Recht dazu, schwerkranken Menschen das Pentobarbital zu verweigern? Oder muss Herr Gröhe das Urteil (zumindest vorübergehend) jetzt erstmal hinnehmen und dafür sorgen, dass schwerkranken Menschen das Mittel ausgehändigt wird?

Vielleicht kann mir hier jemand das erklären, das wäre sehr nett.
Tastenspitz
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Re: Urteil vom BVerwG zu Sterbehilfe

Beitrag von Tastenspitz »

Leitsätze:

1. Der Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung ist grundsätzlich nicht erlaubnisfähig.

2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.

3. Im Hinblick auf dieses Grundrecht ist § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG dahin auszulegen, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung mit dem Zweck des Gesetzes ausnahmsweise vereinbar ist, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet.

4. Eine extreme Notlage ist gegeben, wenn - erstens - die schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen verbunden ist, die bei dem Betroffenen zu einem unerträglichen Leidensdruck führen und nicht ausreichend gelindert werden können, - zweitens - der Betroffene entscheidungsfähig ist und sich frei und ernsthaft entschieden hat, sein Leben beenden zu wollen und ihm - drittens - eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches nicht zur Verfügung steht.
Die Urteilsbegründung wurde Mitte Mai veröffenlicht.
Das ist etwa drei Monate her. Und - die Keraussage ist, dass der Erwerb grundsätzlich nicht erlaubnisfähig ist.
Das ist auch kein Online Dienstleister oder Versandhaus wo man mal eben das bestellen kann. Es wird eine eingehende Prüfung jedes Einzelfalls geben müssen und die Erlaubnis die absolute Ausnahme sein.
mw92
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Re: Urteil vom BVerwG zu Sterbehilfe

Beitrag von mw92 »

Mir ist das schon klar, dass da nicht jeder einfach das Mittel bestellen kann, sondern dass man es nur in bestimmten Einzelfällen bekommt. Das Problem ist nicht, dass sie bei den Betroffenen die Anträge abgelehnt haben (z.B. weil sie nicht "krank" genug sind). Sondern das Problem ist, dass sie die Anträge überhaupt nicht prüfen, obwohl die Urteilsbegründung ja schon seit Mai bekannt ist. Nachdem die Entscheidung vom BVerwG bekannt wurde, bin ich davon ausgegangen, dass man das Pentobarbital dann auch bekommen kann. Stattdessen sagt Gröhe jetzt: "Staatliche Behörden dürfen nicht zum Handlanger der Beihilfe zur Selbsttötung werden". Er will also, dass niemand das Mittel bekommen kann, auch nicht in Einzelfällen.

Und das kann ich nicht nachvollziehen. Müssen er bzw. das BfArM sich denn jetzt an das Urteil halten, oder nicht?
Tastenspitz
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Re: Urteil vom BVerwG zu Sterbehilfe

Beitrag von Tastenspitz »

mw92 hat geschrieben: Müssen er bzw. das BfArM sich denn jetzt an das Urteil halten, oder nicht?
Ja.
Es wird aber nmE. noch ein Weilchen dauern - mindestens bis nach der BT Wahl - bis hier der Abschluss der Prüfung des Urteils und dann eine Umsetzung zu erwarten sind. Und wie schon gesagt. Eine Prüfung eines solchen dann gestellten Antrags wird wiederum eine Zeit in Anspruch nehmen. Man sollte da wohl mindestens in Monaten wenn nicht gar Jahren rechnen.
Das Gericht hat die Hürde zur Freigabe sehr hoch gesetzt.
mw92
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Re: Urteil vom BVerwG zu Sterbehilfe

Beitrag von mw92 »

Danke für deine Erklärung! "Abschluss der Prüfung des Urteils"... kann es sein, dass das Urteil eventuell doch irgendwie aufgehoben werden kann? Oder kann ich mich wenigstens darauf verlassen, dass in einigen Monaten definitiv alle Anträge vom BfArM bearbeitet werden?

Was meinen Antrag betrifft, bin ich zuversichtlich. Ich habe eine seit 8 Jahren eine sehr seltene Krankheit, die mit den stärksten Schmerzen verbunden ist, die man als Mensch haben kann und wo selbst Morphium wirkungslos ist. Wenn man mit so einer Krankheit nicht als Einzelfall gilt, weiß ich auch nicht...
Tastenspitz
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Re: Urteil vom BVerwG zu Sterbehilfe

Beitrag von Tastenspitz »

mw92 hat geschrieben:Abschluss der Prüfung des Urteils
Im Sinne von: Die Behörde - hier wohl das BfArM - prüft die Umsetzung des Urteils. Daraus resultieren dann ggf. Verwaltungsvorschriften und/oder Gesetzesänderungen.
Es geht hier nicht um eine Kleinigkeit. Es geht um eine grundlegende Änderung in der Sichtweise was legitime Selbsttötungen anbelangt.
freemont
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Re: Urteil vom BVerwG zu Sterbehilfe

Beitrag von freemont »

mw92 hat geschrieben:Danke für deine Erklärung! "Abschluss der Prüfung des Urteils"... kann es sein, dass das Urteil eventuell doch irgendwie aufgehoben werden kann? Oder kann ich mich wenigstens darauf verlassen, dass in einigen Monaten definitiv alle Anträge vom BfArM bearbeitet werden?

Was meinen Antrag betrifft, bin ich zuversichtlich. Ich habe eine seit 8 Jahren eine sehr seltene Krankheit, die mit den stärksten Schmerzen verbunden ist, die man als Mensch haben kann und wo selbst Morphium wirkungslos ist. Wenn man mit so einer Krankheit nicht als Einzelfall gilt, weiß ich auch nicht...
Es ist leider so, dass hier die hohe Politik hineinspielt.

BMG weiss ganz genau, dass die Betroffenen keine Zeit haben. Entweder sie sterben oder sie ertragen das Leid nicht. Und helfen sich anders.

Das Urteil bindet nach § 121 VwGO nur die Parteien eben dieses Rechtsstreits. Die Grundsatzentscheidung zu diesem Streitgegenstand auf einen anderen Sachverhalt zu übertragen erfordert eine gewisse Abstraktionsbereitschaft. Und die ist bei einem destruktiven Akteur nicht vorhanden. Der abweichende Sachverhalt wird zur abweichenden Rechtslage umdefiniert.

Wenn alle Stränge reissen hat BMG auch noch die Möglichkeit als Bundesressort ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das der unerwünschten Rechtsprechung den Boden entzieht. Bis das BVerfG das letztendlich geprüft hat, werden dann wieder Jahrzehnte vergehen.

Im BVerwG-Fall, 2017 entschieden, war der Widerspruchsbescheid 2005 ergangen. Die Klägerin ist schon seit 2005 tot. Sie hat sich in der Schweiz das Leben genommen. Weil sie es nicht mehr ausgehalten hat.

Da wirkt es schon zynisch, was am Ende des BVerwG-Urteils steht:
5. Die weitergehende Klage bleibt ohne Erfolg. Die Feststellung, dass das BfArM zur Erlaubniserteilung verpflichtet gewesen ist, lässt sich ohne die erforderliche Sachverhaltsprüfung und -aufklärung nicht treffen. Das kann nach dem Tod von Frau K. nicht mehr nachgeholt werden. Insbesondere die Frage, ob zumutbare Alternativen zur Verfügung gestanden hätten, ist ohne ihre Beteiligung nicht mehr zu klären. Dementsprechend kam auch eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur weiteren Sachaufklärung nicht in Betracht.
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