Leben ohne Konto in Deutschland

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Chavah
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Leben ohne Konto in Deutschland

Beitrag von Chavah »

Vor einigen Tagen war hier eine Anfrage, ob man ohne Konto in Deutschland leben dürfe, sinngemäß. Klar, schwierig, kompliziert, aber es geht.

Für die Jüngeren hier von einem Oldie vielleicht mal (just for fun) ein paar Hinweise, wie es früher lief. Nicht im Postkutschenzeitalter, sondern in meiner Jugend. Ich wuchs teilweise bei meinen Großeltern auf. Großvater war Beamter. Einmal im Monat kam der Geldbriefträger bei uns vorbei. Brachte das Gehalt in bar vorbei (ja, auch bei Beamten). Am Abend saßen dann die Großeltern und ich am Küchentisch. Es wurde gezählt, gehäufelt. Am nächsten Tag zahlte dann die Großmutter wo auch immer alles in bar ein. Ach, an diesen Tagen hatte ich Kleinkind immer das Gefühl, wir seien unermesslich reich.

Noch in den 80er Jahren hatten die Großeltern kein Girokonto. Ein Sparbuch, ja. Der Geldbriefträger brachte immer noch das Geld bar vorbei, Opa schwang sich aufs Fahrrad (man lebte am Rand von West-Berlin), fuhr in die Stadt zur Baugesellschaft, Post, Stadtwerken, Krankenkasse u.s.w. Kostete ihn einen ganzen Tag. Irgendwann hab ich mich dann durchgesetzt, es wurde ein Giro-Konto eingerichtet. Was ein Zirkus. Aber, irgendwie funktionierte es.

Als ich als junge Referendarin mein erstes Konto einrichten wollte, hatte ich Schwierigkeiten. Ich war verheiratet, wurde von einer großen deutschen Bank gefragt, ob mein Ehemann denn damit einverstanden sei, dass ich ein eigenes Konto einrichtete. Ich ging zu einer Sparkasse, verschwieg, dass ich verheiratet war und es klappte.

Ich wurde alleinerziehend und arbeitete ganztägig, also wann Geld abheben? Immerhin konnte ich die laufenden Ausgaben inzwischen per Dauerauftrag erledigen, es gab die EC-Schecks. Aber, immer noch wurde ganz viel bar erledigt, Also bekamen meine Kinder die Befugnis eingeräumt, Geld abzuheben. Ja, noch in einer Kasse in der Bank.

Meine Kinder, einer über 30, einer 10 Jahre älter, haben maximal ein paar 10er in der Tasche. Für sie wäre die Abschaffung des Geldes in Münzen und Scheinen kein Problem. Für mich schon. Klar, ich wickle alles ganz modern ab. Aber ..... ich kann es nicht lassen. Ich hebe einmal im Monat ganz altmodisch Geld vom Konto ab, für den laufenden Bedarf. Das, was ich abhebe, ist immer mehr, als ich verbrauche. Und das, was ich nicht verbrauche, das kommt in eine Plätzchendose. Warum das? Ich zähle so gerne Geld, so, wie ich mich an die Großeltern erinnere.

Also, ganz klar, Giro-Konto, aber ein wenig anfassbare Freude muss auch sein. Und, als ich nach einem Unfall für längere Zeit ins Krankenhaus kam, brachten mir die Kinder als erstes Geld mit. Ich ganz cool: bei mir zu Hause ist in der Keksdose genug. Holt es euch von dort zurück. Verständnislosigkeit, Fassungslosigkeit. Aber im Nachhinein mussten sie zugeben, dass mein altmodisches System gar nicht so blöd ist.