(zu-)lange Narkosezeiten

Patientenrechte, Arzthaftungsrecht, ärztliches Vergütungsrecht, Betäubungsmittelrecht, Apothekenrecht, Medikamentenversandrecht, Internet-Apotheke

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harrydirty
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(zu-)lange Narkosezeiten

Beitrag von harrydirty »

Ein Privatpatient begibt sich zu einem elektiven Eingriff in eine Klinik. Der Operateur bespricht den vorgesehenen Eingriff und stellt fest, dass dies ein Routineeingriff wäre und mit einer OP-Dauer von ca. 1 bis 1,5 Stunden zu rechnen ist.
Aus der Narkose erwacht, stellt der Patient fest, dass inzwischen gut 4 Stunden vergangen sind. Der Operateur meint dazu, dass es eben sehr schwierig gewesen sei - wofür es vorher keinen Anhalt gab.
Als der Patient auf Wunsch seiner Krankenversicherung, die die ungewöhnlich hohe Rechnung über 4 Stunden Narkose bezahlen soll, eine Kopie des Narkoseprotokolls anfordert, findet er Markierungen, die auf einen Abstand zwischen Ende der Narkoseeinleitung und OP-Beginn von praktisch zwei Stunden hinweisen. Der Anästhesist gibt hierzu nur ausweichende Antworten, aus denen nichts geschlussfolgert werden kann.
Über unauffällige Rückfragen bei anderen, an der OP beteiligten Personen, kommt heraus, dass nach Narkosebeginn der Operateur für 2 Stunden nicht im OP erschienen ist und auch nicht erreichbar war. Angeblich habe er telefoniert und andere Patienten untersucht. Somit war die Narkose in dieser Zeit eigentlich ein "Heilschlaf"....

Wie ist hier die Rechtslage
- aus zivilrechtlicher Sicht: kann diese unnütze Narkosezeit berechnet werden und wenn ja: wem? Der Patient und seine Krankenversicherung haben das sicher nicht gewollt.
- aus strafrechtlicher Sicht: hat sich jemand der Körperverletzung schuldig gemacht, denn für eine sinnlose Narkose hat (und hätte) der Patient niemals seine Einwilligung gegeben.

Danke für eure Einschätzung!
hawethie
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Re: (zu-)lange Narkosezeiten

Beitrag von hawethie »

Hi
das ist ein Fall, wo ich mich auf keinen Fall, auf ein Forum verlassen würde sondern sofort beim Anwalt aufschlagen würde.
Neben dem Bezahlen der Überflüssigen Narkose und der Möglichkeit, dass hier die von dir genannten Straftaten vorliegen könnten, käme auch eine Klage auf Schmerzenzgeld oder so (eine Narkose belastet den Körper halt) in Betracht.
Was du nicht willst, das man dir will, das will auch nicht -
was willst denn du.
Aus Erfahrung: Krebsvorsorge schadet nicht.
ExDevil67
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Re: (zu-)lange Narkosezeiten

Beitrag von ExDevil67 »

Zumal man als Patient zwischen den Stühlen ggf verdammt unbequem sitzt. Auf der einen Seite das Krankenhaus das ggf auf Bezahlung seiner vollen Rechnug besteht und auf der anderen Seite die eigene PKV die ggf nicht bereit ist die unnötigen 2 Stunden Narkose zu erstatten.
FM
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Re: (zu-)lange Narkosezeiten

Beitrag von FM »

Inwiefern spielt die Dauer eine Rolle für die Kosten? Ist die Anästhesie aus den Fallpauschalen ausgenommen?
ExDevil67
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Re: (zu-)lange Narkosezeiten

Beitrag von ExDevil67 »

Müsste man sich die Rechnung ansehen, würde mich aber wundern wenn da nicht irgendwelche zeitabhänigen Extraposten auftauchen weíl Privatpatient.
FM
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Re: (zu-)lange Narkosezeiten

Beitrag von FM »

Ich hab auch mal nachgesehen, ob die Fallpauschalen auch für die PKV gelten - anscheinend schon, soweit es nicht um Wahlleistungen wie Einzelzimmer geht.
https://www.derprivatpatient.de/kranken ... ndlung/731
Ob die Anästhesie eine Wahlleistung sein kann .. naja vielleicht wenn es der Chefarzt machen soll.
hawethie
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Re: (zu-)lange Narkosezeiten

Beitrag von hawethie »

alllsooo - bei meinen bisherigen Krankenhausaufenthalten als Privatpatient:
Die Fallpauschalen muss man vereinbaren, ansonsten wird einzeln jede Tätigkeit abgerechnet.
Und bei Narkose gibt es mW eine zeitabhängige Komponente, da mit der Dauer der Narkose das Risiko steigt.
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FM
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Re: (zu-)lange Narkosezeiten

Beitrag von FM »

hawethie hat geschrieben: 16.04.22, 21:14 Und bei Narkose gibt es mW eine zeitabhängige Komponente, da mit der Dauer der Narkose das Risiko steigt.
Bezogen auf den Ausgangsfall: je größeres Risiko das Krankenhaus verursacht, desto mehr Geld bekommt es dafür .... da bin ich doch ganz froh, gesetzlich versichert zu sein.

Aber zurück zum Thema: privat kann wohl auch nur berechnet werden, was notwendig war. Es mag berechtigt gewesen sein, dass der Chirurg verspätet kam, vielleicht hatte er dringende andere Sachen unerwartet zu tun. Aber bei einer Taxifahrt würde ich auch nicht die Standzeit bezahlen wollen, wenn das Auto unverschuldet vom Fahrer eine Panne hat und er eine halbe Stunde braucht, bevor er weiterfahren kann.
ExDevil67
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Re: (zu-)lange Narkosezeiten

Beitrag von ExDevil67 »

FM hat geschrieben: 16.04.22, 21:28 Aber zurück zum Thema: privat kann wohl auch nur berechnet werden, was notwendig war. Es mag berechtigt gewesen sein, dass der Chirurg verspätet kam, vielleicht hatte er dringende andere Sachen unerwartet zu tun. Aber bei einer Taxifahrt würde ich auch nicht die Standzeit bezahlen wollen, wenn das Auto unverschuldet vom Fahrer eine Panne hat und er eine halbe Stunde braucht, bevor er weiterfahren kann.
Sicher richtig. Aber, da kommen wir vermutlich sehr schnell an den Punkt an dem es keine Protokolle geben wird. Nämlich wer wusste wann was zu den Hintergründen der Verzögerung und was war wann absehbar. Denn einen Patienten der komplett vorbereitet auf dem Tisch liegt nehme ich von selbigen nicht mal eben runter und lege ihn wieder rauf.
Die Entscheidung mag einfach sein wenn die OP noch nicht begonnen hat und der Anruf kommt das es ein Busunglück gab und viele Patienten zu erwaten sind. Wenn ich aber auf den Chirurgen warte und damit rechne das er jederzeit im OP autauchen wird, wann wäre dann der "richtige" Zeitpunkt für die Entscheidung nicht länger zu warten?
FM
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Re: (zu-)lange Narkosezeiten

Beitrag von FM »

Ich denke, das wäre dann die Risikosphäre des Krankenhauses. Eben wie beim Taxifahrer: es muss ja nicht verschuldet sein, aber wenn eine betriebliche Planung nicht so klappt wie gedacht, kann man die Kosten nicht dem Kunden in Rechnung stellen, der damit gar nichts zu tun hat.

Wobei die Kosten hier wohl weniger das höhere Risiko als die Arbeitszeit des Anästhesisten sind, der ja weiterhin den Patienten überwachen muss. Ob das überhaupt berechenbar ist, dürfte vom Vertrag abhängen (wegen Fallpauschale oder nicht). Also wird man eine anwaltliche Überprüfung brauchen. Die eigene PKV ist zwar der Meinung es wäre nicht berechtigt, aber das hilft nicht viel weiter - sie ist nicht beteiligt am Behandlungsvertrag und hat nichts zu entscheiden dazu. Da haben es gesetzlich Versicherte besser.

Spätestens wenn das Krankenhaus gegen den Patienten einen Mahnbescheid erwirkt oder Klage erhebt (oder auch frühestens dann, wegen der Kosten), wäre eine Rechtsberatung notwendig.
MartinZirkus
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Re: (zu-)lange Narkosezeiten

Beitrag von MartinZirkus »

Aus der Sicht eines Narkosearztes stellt sich das ganze so dar:

:arrow: Eine Narkosezeit von zwei Stunden ohne OP-Vorbereitung / operative Maßnahmen kann in der Tat als Körperverletzung ausgelegt werden, denn Narkose hat keinen "Selbstzweck" (Sehr schön erklärt hier: https://www.cirs-ains.de/files/fall-des ... r_2017.pdf )
:arrow: zu jeder OP gibt es umfangreiche Dokumentationen: OP-Protokoll (mit Anwesenheits-Zeiten des Personals), OP-Bericht, Naskoseprotokoll. Der Patient hat hier volles Einsichtsrecht und Anspruch auf eine komplette Kopie der Akte (gegen Auslagenerstattung der Kopierkosten)
:arrow: ein möglicher (kostenloser!) erster Schrit wäre die Inanspruchnahme der zuständigen Schlichtungsstelle der Ärztekammer ( https://www.bundesaerztekammer.de/patie ... gsstellen/ )

MZirkus
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